Da war ein Junge und der Brand in MORIA, dem Schreckens Camp von Europa, September 2020. Er war in Österreich, absolvierte eine Lehre, die er mittlerweile mit Auszeichnung abgeschlossen hat und ein friedliches, selbstständiges Leben führt.
In der Nacht des Brandes verlor er den Kontakt zu seinem minderjährigen Bruder. Er kümmerte sich monatelang telefonisch liebevoll um ihn, hielt ihn durch seinen Zuspruch psychisch aufrecht, denn MORIA war ein Teil der europäischen Hölle.
Er, nennen wir ihn Ahmed, hier in der Steiermark, super gut drauf in der Lehre, aber immer noch kein Asyl. Er wollte in seiner Verzweiflung alles, was er sich hier hart erarbeitet hatte, hinter sich lassen, auf diese grausame und abgelegene Insel fliegen, denn er hatte die einzige Person in Europa aus den Augen verloren, die er sein Leben lang kannte und innig liebte.
Natürlich verstand ich ihn.
Ich wusste aber auch, dass, wenn er Österreich verließ, er kaum mehr die Möglichkeit hatte, hierher zurückzukommen.
Alles verloren, seine Lehre, seine harte Arbeit, die Sprache zu lernen und sich bestens mit der österreichischen Gesellschaft zu verweben.
Es war ihm egal – nur sein Bruder zählte.
Ich versuchte ihm zu erklären, dass auf Lesbos gerade noch größeres Chaos herrschte als eh schon.
Es beeindruckte ihn nicht, er wollte die Gewissheit, dass sein Bruder lebte.
Ich weiß nicht, was mich „geritten“ hat.
Ich machte ihm einen Vorschlag.
„Lass mich fliegen, lieber Ahmad. Ich kann das, hin und her, frei durch Geburt.“
Wie schrecklich, dies einem Asylwerber sagen zu müssen. Doch es war und ist die Realität.
Er „drohte“ mir freundlich:
„Wenn Du ihn in 2 Tagen nach Deiner Ankunft nicht findest, dann fliege ich“.
Diese Konsequenz hat ihn zu dem gemacht, was er heute ist. Österreichischer Staatsbürger, eine gute Arbeit, eigene Wohnung und gute Freund:innen.
Und so flog ich nach Lesbos.
Und da war eine Freundin, Helga Longin. Mein Leben lang wird sie einen Platz in meinem Herzen haben. Taff, lebenserfahren, mutig, intelligent, liebend und unheimlich witzig.
Sie sah meinen Facebook-Post. „Ich komme mit“ sagte sie am Telefon, noch heute höre ich ihre Stimme. Unerschrocken, weich. Welch großes Geschenk. Ich war nicht alleine. Und wir passten so gut zusammen, ich glaube, ich darf sagen, wir liebten uns sehr.
Helga ist leider mittlerweile verstorben, ich vermisse sie sehr. Nicht nur ich, viele von uns.
Wir landeten, kaum war mein Handy aktiv – Ahmed:
„Doro, ich danke Dir so sehr, alles gut, ich habe meinen Bruder gefunden“. Es war so, wie ich es ihm gesagt hatte. Chaos. Ali hatte sein Handy verloren. Die Minderjährigen wurden aufs Festland verlegt nach dem Brand. Es dauerte, bis sie sich wiederfanden.
Der Bruder, nennen wir ihn Ali, lebt mittlerweile in Österreich, auch in Ausbildung, auch Asyl.
Das sind die Geschichten des Lebens, die ich liebe.
Weil sie das Leben beschreiben und was mit viel Liebe möglich ist.
Und wir, Helga und ich. Wir blieben auf der Insel bis heute.
Helga, ich, sehr bald kam Fayad dazu, auch über ihn werde/muss ich eine Geschichte schreiben, dieser wunderbare Mensch.
Und viele engagierte junge Menschen, die die letzten 4 Jahre, alle ehrenamtlich, Großartiges mit uns vollbrachten.
Was ich in den ersten Tagen auf Lesbos sah, hätte ich mir in meinen schlimmsten Träumen nicht ausmalen können.
Wir kochten sofort mit einer griechischen NGO, bis zu 2000 Essen am Tag, dank Euch allen konnten wir 1 Jahr all diese Lebensmittel, neue, notwendige Küchengeräte und vieles mehr finanzieren.
Und in mir entwickelte sich diese ….wie soll ich es nennen, Hass-Liebe, das wäre zu derb.
Diese Liebe zu einem Ort – in einer Ambivalenz, wie ich sie bisher nicht kannte.
Bis heute bin ich da, und wir wollen bleiben.
Genau dafür brauchen wir Euch!
Wir wünschen Euch von Herzen einen schönen 1. Advent.
Wir wünschen Euch viel Liebe und Menschen in Eurem Umfeld, die ihre Herzen öffnen, für euch und andere.
Denn dann ist das Leben, trotz seiner Herausforderungen, gut.
Doro & Team