Von Lesbos nach Graz 

Wir treffen so viele Menschen auf Lesbos und beinahe jede(r) hinterlässt etwas bei dieser Begegnung. Etwas, das irgendwann zu einem späteren Zeitpunkt abgerufen wird – eine Erinnerung, ausgelöst durch irgendetwas im Alltag.

Und manche von ihnen, die beeindrucken mich so sehr, dass sie dauerhaft präsent sind. 

Einer von ihnen ist Omid.

Als ich Omid das erste mal begegnete, war er sehr zurückhaltend und scheu.

Er sah mir nicht ins Gesicht, was bei vielen Menschen in Europa, einen Gedanken von Unhöflichkeit auslöst. 

Da ich bereits so lange mit jungen Männern aus Afghanistan, Syrien, Palästina, Somalia, usw. arbeite, kann ich das mittlerweile sehr gut zuordnen. 

Es ist eine Mischung aus Respekt, Unsicherheit, manchmal auch Angst. 

(Männer ist oft auch zu viel gesagt, es sind Burschen – die keine Zeit für Pubertät hatten und nur durch Schrecken, Verluste und Demütigungen so schnell „erwachsen“ werden mussten) 

Omid war also scheu, trotzdem war er in der Lage sein Bedürfnis nach Bildung sehr konkret zu äußern.

Er wollte in den Englisch-Kurs für Fortgeschrittene gehen und unseren Deutschkurs besuchen. Er hatte bereits Asyl, arbeitete für eine NGO – was natürlich auf Dauer keine Lebensgrundlage ist, es gibt bloß eine kleine Entschädigung in Form von Gutscheinen und ein Zimmer, doch sehr hilfreich dabei sein kann, sich mit dem Leben in Europa vertraut zu machen.

Als ich seine Geschichte hörte war ich tief beeindruckt. Das Persönliche wie Kindheit und Fluchtgrund lass ich hier weg, ich denke alle verstehen das. 

Doch sein Weg in Europa, der ist wahrlich beeindruckend.

Omid landete als Analphabet im Schreckenscamp MORIA.

Er war extrem verunsichert, Moria war die Hölle. Viel zu viele Menschen auf zu engem Raum, den ganzen Tag stand man in einer „Schlange“, Essen, Toilette, Dokumente, stundenlanges Ausharren um am Ende des Tages kaum was bekommen zu haben. Und sonst noch täglich viele Grausamkeiten, am ganzen Kontinent hieß es „Das Schreckenscamp Europas“. 

Omid erkannte schnell, dass die gängige Sprache auf der Insel Englisch ist. 

Schulplatz war ein Luxus, der niemandem in Moria gegönnt war – so entschied sich Omid mit you tube Englisch zu lernen.

Und was er in den letzten 2 Jahren geschafft hatte, beachtlich . Ich bin überzeugt davon, dass die Hälfte der österreichischen Landbevölkerung nicht so gut Englisch spricht wie Omid.

Wir haben ihm einen Platz in unserer Englisch-Klasse und im Deutschkurs gegeben.

Das darauffolgende Jahr, immer wenn ich von einem Aufenthalt in Graz wieder auf die Insel kam, kannte Omid gefühlt 100 deutsche Wörter mehr. Ich brachte ihm Bücher mit und führte lange Gespräche mit ihm – er war mittlerweile auch sehr umgänglich geworden. Die Unsicherheit und Angst waren verschwunden, was bis heute geblieben ist sein respektvolles Verhalten. 

Als ich im Sommer dann nach Österreich fuhr verabschiedete ich mich von ihm. Ich dachte er wird, so wie viele andere auch, weiter nach Deutschland gehen. In Griechenland gibt es außer 4 Monate Sommerjob und Ausbeutung bei Oliven- und Gemüseernte nichts, was man jungen Menschen anbieten kann. Ein selbstständiges Leben aufzubauen ist beim besten Willen quasi nicht möglich. 

Eines Tages erreichte mich ein Anruf – Omid. Er klang so nahe und das war er. Er war in Traiskirchen, hatte in Österreich um Asyl angesucht. 

Auf meine Frage warum Österreich? Er: „Ich hatte noch nie in meinem Leben so eine wertvolle Beziehung, wie zu Deinem Team und Dir“. Ich bin überzeugt, dass ich in Österreich einen Beitrag leisten kann und ich gute Menschen treffen werde.“

Natürlich versuchte ich ihm klarzumachen, dass wir unsere Arbeit immer gut und würdevoll tun. Dass wir ihn aber ins Herz geschlossen hatten, blieb ihm denke ich, nicht verborgen.

Wie ging’s weiter mit ihm?

Omid ging in einen Deutschkurs, arbeitete nebenbei in einem Alters- und Pflegeheim 400 Ehrenamtsstunden und macht jetzt gerade den Schulabschluss.

Dann möchte er die Caritas Schule für Pflege machen. Ich weiß heute bereits, dass sein Weg ein erfüllter und erfolgreicher sein wird. 

Es ist das, was wir immer wieder sagen. So viele der jungen Menschen auf der Flucht haben den dringlichsten Wunsch sich ein selbstständiges Leben aufzubauen. Mit ernstnehmen, all ihre Visionen, aber auch Ängste, Verluste, kleine Hilfestellungen zu geben, vernetzen mit Österreicher:innen um unseren Alltag besser kennen zu lernen, all dies führt in den meisten Fällen zum Erfolg und schenkt uns allen große Freude. 

Omid hat es geschafft. 

Er hat Schutz in Österreich bekommen und geht konsequent seinen Weg. Immer wenn ich in Graz bin kommt er mich besuchen. Wir reden ernsthaft, lachen miteinander, er erzählt mir von seinen bevorstehenden Schritten und nicht nur mein, unsere Herzen lachen dabei.

Bravo und meinen größten Respekt, lieber Omid.

Ist das nicht eine schöne Weihnachtsgeschichte?

Ich liebe sie sehr. 

Habt’s gut und weiterhin einen besinnlichen Advent,

Doro 

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