Gestern hatte ich ein Erlebnis, das mein Herz mehr als angerührt hat, es wurde (wieder einmal) richtig verwundet.
Unser Volunteer, Ali, informierte uns, dass ein paar Jugendliche in einer WG in Mytilini wohnen und sie ihn kontaktiert hätten, ob wir mit Essen/Lebensmittelpaketen helfen können.
Es ist mir sehr wichtig, die Geflüchteten dann persönlich zu besuchen. Wer Hunger leidet, hat meist noch viel größere Probleme. Es ist wichtig, dass wir uns einen umfassenden Überblick der Situation verschaffen. Wir vereinbarten einen Termin, Ali begleitete mich, um zu übersetzen, und traf vor dem Haus auf B., der Junge aus der WG, der uns informiert hatte.
Er stand vor dem Haus, wartete bereits bei Regen und Wind auf uns. So zart stand er da, so zerbrechlich. Und doch so stark.
Er begrüßte uns überaus höflich. Hatte trotz der Sorgen, die sein Herz trug, ein offenes Gesicht. Er nahm uns mit rauf. Wohnt mit vier Jugendlichen in einer WG.
Oben wurden die einzigen beiden Plätze neben einem Heizkörper – gestern war es wieder sehr nass und kalt auf Lesbos – mir und Ali angeboten.
Die Jungs stellten sich in einer Reihe auf und stellten sich, jeder einzeln, vor.
Was mich immer sehr betroffen macht, ist diese Haltung der Geflüchteten. Wir spüren das immer wieder. Auf den meisten Stationen ihrer Flucht wird ihnen vermittelt, dass sie unerwünscht sind, ein Problem darstellen. Es ist so traurig, zu sehen, wie sich dies bei den Menschen, die nichts weiter als Frieden und Sicherheit suchen, manifestiert.
Jeder dieser Jugendlichen trägt seine persönliche Last. Keiner hat Familie, ja, irgendwo weit weg. Sie mussten flüchten, aus traurigsten Gründen. Alles, was ihnen lieb und teuer war, verlassen, um ihr nacktes Leben zu retten. Jetzt sind sie hier, ohne adäquate Betreuung, ohne Menschen, die ihnen aufrichtig zugetan sind, ihren Sorgen zuhören und ihre Gedanken mit ihnen teilen. Ohne die reale Möglichkeit, sich ihrem Alter entsprechend zu bilden und ein Leben zu führen, wie Jugendliche es führen sollten.
Sie haben die Trennung von ihren Familien hinter sich, viele waren physischen und psychischen Übergriffen ausgesetzt, sie lebten monatelang in Moria, dem berüchtigten, vollkommen überfüllten Elendscamp auf Lesbos. Als Menschen alleine gelassen.
Es sind die Kinder der Zukunft Europas. Sie haben einen positiven Bescheid. Bleiben solange auf der Insel, bis sie volljährig sind. Hier, in ihrer Einsamkeit, sich gegenseitig tröstend.
Sie bekommen dreimal täglich kurzen Besuch von einem Sozialarbeiter. Er fragt, wie es geht, ob die Heizung nicht zu hoch aufgedreht sei und ob sie wohl eh nachts zuhause sind. Dreimal, eine Stunde p.W. Sie bekommen 75€ im Monat. Damit müssen sie außer Wohnung und Internet ihr ganzes Leben meistern.
Kleidung, Hygieneartikel, Schuhe, Lebensmittel, persönliche Bedürfnisse. Das sind alles Dinge, die sich die Minderjährigen selbst kaufen müssen.
Vorweg: ich war extrem beeindruckt und auch sehr berührt von der Art, wie diese Jungs unter größtem Kräfteaufwand versuchen, ihr Leben zu meistern.
Wir haben vereinbart, dass wir sie regelmäßig besuchen. Die Burschen haben sich sehr gefreut.
Ich stelle mir auch heute, wie so oft, die Frage, was denkt Europa sich zum Thema #Fluchtwaisen? Wie visionär, wie menschlich und verantwortungsbewusst handeln hier die politisch Verantwortlichen? Ich komme zu dem Schluss und der schmerzt mich sehr, dass hier keinerlei Gedanken darin investiert werden. Wie können wir dafür sorgen, dass die Kinder und Jugendlichen auf der Flucht die Schönheit ihrer Wesen entwickeln und sich zu selbständigen und verantwortungsbewussten Persönlichkeiten entwickeln?
Dies ist eine Frage, deren Verpflichtung wir uns nicht entziehen können und dürfen.
Weder hier noch in Österreich.
Asylkoordination Österreich beschäftigt sich intensiv mit dem Thema und fordert, gemeinsam mit anderen NGOs, eine kindgerechte Begleitung, vom 1. Tag an. Auch unser Verein hat sich dieser Forderung angeschlossen.
Diese Kinder und Jugendlichen sind Kinder unser aller Welt. Sie haben so viel Schmerz, Leid und auch Gewalt erlitten. Nichtsdestotrotz ringen sie, mit all ihrer Kraft, um ein gutes Leben. Sie geben anfänglich immer ihr Bestes dafür. Bis sie gebrochen werden durch die unmenschliche und verantwortungslose Behandlung der Verantwortlichen. Wenn diese Kinder und Jugendlichen scheitern, dann, weil sie bei all ihrem Suchen niemanden finden konnten, der ihnen das gibt, was ihnen zusteht.
Raum zum Kind sein dürfen und die Möglichkeit, in sicherer und liebevoller Umgebung zu wachsen und reifen.
Wir fordern alle politisch Verantwortlichen auf, sich intensiv mit dem Thema #Fluchtwaisen auseinanderzusetzen und sofort zum Wohle der Kinder und Jugendlichen und uns allen zu handeln.
Wir bemühen uns darum, gemeinsam mit vielen anderen.
Danke an alle, die sich, egal wo in Europa, für Kinder und Jugendliche auf der Flucht engagieren, sich stark einsetzen für deren Rechte und Liebe schenken.
Wir bleiben weiter am Thema, sowohl hier als auch in Österreich.
Ihr wollt unsere Arbeit unterstützen, sowohl hier in Griechenland als auch in Österreich, dann freuen wir uns über eine Spende an:
Verein: Flüchtlingshilfe/refugee assistance – Doro Blancke
IBAN: AT93 3842 0000 0002 7516
Paypal: paypal.me/helfedorohelfen
