Bevorstehender Advent auf Lesbos

Natürlich weiß ich als Christin, dass am kommenden Sonntag die Adventszeit beginnt. Ich weiß auch was Advent an und für sich heißt „Ankunft“. Wir Christ*innen bereiten uns vor auf die Ankunft von Gottes Sohn. Im Prinzip für alle die das ernster nehmen, leben wollen, gehts darum, unsere Herzen für die Liebe zu öffnen, sie empfangen und sie zu verschenken.

Mich persönlich stimmt das alles sehr nachdenklich. Ca 3/4 der österreichischen Bevölkerung sind Christ*innen, wir zelebrieren die Adventszeit und das Weihnachtsfest. Das Fest der Liebe.

Jetzt zu meiner Frage: wie können wir die Ankunft Gottes Sohns feiern, zelebrieren, wenn wir nicht mal in der Lage sind 8.200 Menschen eine menschengerechte Unterkunft zu gewähren?

Als Kind war ich so fest davon überzeugt, dass diese Symbolfiguren wie der Hl. Martin, Bischof Nikolaus, die Herbergssuche und dann die Geburt dieses verfolgten und doch so behüteten Kindes eine Botschaften für uns sind, mit denen wir verwoben sind. Dass diese Haltung ein Teil unserer Werte darstellt, auch bei jenen, die nicht sonntäglich zur Kirche gehen.

Ich höre ja auch immer wieder von allen möglichen Politiker*innen „christlich-soziale Werte“. Es muss jetzt nicht zwingend mit Kirche zu tun haben, doch wie sehr wünsche ich mir eine Heimat, die genau jene, man kann sie auch „humanistische – soziale Werte“ nennen, vertritt.

Dann könnten wir sachlich darüber diskutieren, wie man rechtlich korrekte Asylverfahren zustande bringt, dass die maximale Länge eines Verfahrens 1 Jahr sein darf, ob und wohin eine Abschiebung gerechtfertigt ist und es wäre sonnenklar, keine Abschiebung in Kriegsländer, oder Hochrisikogebiete und kein „Ertrinken lassen“, um mit Hilfe von menschlichem Elend/Tod zu demonstrieren, wie hermetisch abgeriegelt wir im vereinten Europa sind.

Wenn jetzt, so wie heute im größten Flüchtlingslager von Europa, auf Lesbos die alte Dame aus Afghanistan, gestützt auf Krücken wieder vor mir steht und ich sie nochmals um einen Tag mit den Schuhen vertrösten muss, dann beeindrucken mich die christlich-sozialen Werte, die wir in Europa hochleben lassen nur insofern, als ich weiß: hunderte Menschen der Zivilbevölkerung haben gerade (wiedermal) versucht unser aller Würde und Werte zu retten, indem sie das tun, was im eigentlichen Sinne die Verantwortung und die Verpflichtung der Politik wäre.

Die Zivilgesellschaft sendet Kleidung, Schuhe, Windeln, Babynahrung, sie spendet Geld um die schlimmste Not hier zu lindern. Was genau genommen im ganzheitlichen Sinne hier nur gelingen könnte, sprich alle zumindest ein Minimum an Existenziellem zur Verfügung gestellt bekommen, wenn die Politik das wollte. Wenn Europa das täte.

Dann wäre das, wie bei einer Katastrophenhilfe in einer Woche zu bewältigen.

So warten wir auf die „Ankunft des Herrn“ während hier in diesem elenden Camp Babies das Licht der Welt erblicken, hinein in die Winterkälte, ins eisige Europa, ohne bis zu ihrem 1. Geburtstag ein normales Bett gehabt zu haben. Nicht mal Stroh einer Krippe, nackter Plastikboden eines vom Wind durchgebeutelten Sommerzeltes, abgedeckt mit einer dünnen, grauen Decke, die kaum in der Lage ist, den harten, steinigen Boden der Küste von Lesbos etwas zu dämpfen.

Ich frage mich wie wir, die wir hier neben unserem täglichen Tun auch Zeitzeug*innen dieses europäischen Akts der Verstümmelung unserer Werte sind, wie wir diese Werte wieder aktivieren können, dass jeder Mensch in Europa einen menschenwürdigen Schlafplatz, angemessene Winterkleidung, Schuhe und täglich seine warme Mahlzeit bekommt?

8200 Menschen, 3/4 davon Familien mit ihren Kindern, suchen Schutz in Europa. Und die Debatte darf nicht darauf reduziert werden „Wir können nicht alle nehmen“. Sie muss sich darum drehen, wie und wo bringen wir diese Menschen würdevoll und unseren europäischen Maßstäben entsprechend unter und wie können wir faire Asylverfahren gewährleisten.

Indem im reichen Europa ersteres nicht gelingt, bewusst nicht gelingt, müssen wir alle dafür arbeiten, um Menschen ein würdevolles, menschliches Warten auf ihre Verfahren zu ermöglichen.

Kinder ohne Schulbildung, Menschen ohne Warmwasserduschen, im Freien, ohne dem Wetter entsprechender Kleidung in Fetzenzelten dem Winter auszusetzen ist eine Weihnachtsgeschichte, die viele Österreicher*innen mehr als betroffen zurück lässt und eines Tages die politisch Verantwortlichen vor Gerichte bringen wird.

Verstecken wir uns nicht im „Warten auf den Herrn“, tun wir gemeinsam das, was Gemeinschaften liebend machen und erstrahlen lassen. Gehen wir in einen Adventsdialog mit den Verantwortlichen, wir alle kennen sie und fordern die existenzielle Grundlage für Menschen, deren Situation in Worte zu fassen mir kaum mehr möglich ist für nicht Anwesende.

Herbergsuche im Jahr 2020/Lesbos GR

Doro Blancke, AT93 3842 0000 0002 7516 Betreff: Lesbos

Kommentare 5

  1. Liebe Doro, danke, dass ihr uns immer an eurer Arbeit teilnehmen lasst. Eure Worte erreichen leider oft nur die Menschen, die sich noch ein wenig Empathie erhalten haben, während andere sich darüber besorgt zeigen, ob auch der Nikolaus zu den Kindern darf, die Einkaufstempel offen sind und das Wintersportvergnügen möglich sein wird. Wie ist es möglich diese scharfen Trennlinien zwischen den Menschen zu durchbrechen? Wir sind momentan wegen der Coviderkrankung von Ali in Quarantäne, doch wenn wir an die Menschen auf Lesbos denken, bleibt uns jede Klage darüber im Halse stecken. Jedenfalls wird unser “Weihnachtsbrief” an Kinder, Verwandte und Freunde eine dringende Bitte um eine weitere finanzielle Hilfe für eure Anliegen enthalten. Liebe Doro, ihr seid stets in unserer Gedanken und Überlegungen! Wir wünschen uns so sehr ein “Weihnachtswunder”, das der Menschlichkeit zum Durchbruch verhilft. Alles Liebe und viel Kraft für euch!

  2. Sehr geehrte Frau Blanke
    Ich würde gerne irgendetwas tun. Sie sammeln Geld was bestimmt gut ist. Wofür wird dieses genaue verwendet? Herzliche Grüße Jutta Kaltenbach

    1. Post
      Author

      Sehr geehrte FRau Kaltenbach!
      Herzlichen Dank für Ihr Interesse.
      Helga Longin und ich verwalten das Geld sehr achtsam und flexibel, je nach Bedarf.
      Zb haben wir jetzt Regenjacken für 4000€ bestellt und bereits erhalte, 1500 davon für Kinder. 1200 Solarduschsäcke, damit jedes Zelt (2 Familien warmes Wasser haben), es gibt immer noch keine Duschen mit warmen Wasser. Wir kauften auch zB 150 Thermoskannen für die Familien mit kleinen Kindern, damit sie in der Nacht warmes Wasser für die Fläschchen haben.
      Wir bekommen zwar viele Sachspenden, doch wir kaufen was da nicht dabei ist. Windeln für Neugeborene, Fläschchen, Popocreme, Feuchttücher.
      Außerdem unterstützen wir großzügig die befreundete NGO #HomeForAll mit der wir eng kooperieren und auch mit ihnen die Akkreditierung fürs Camp haben.
      Sie können mich auch gerne per Mail anschreiben, ich rufe Sie gerne zurück um vom Alltag hier zu berichten und wie wir die Gelder verwenden. Herzlichen Gruß von Lesbos, Doro

  3. Vielen Dank für Ihr persönliches Engagement vor Ort.
    Weiterhin alles Gute und viel Erfolg!

  4. Liebe Doro Blancke!
    Vielen Dank für ihre mutige und unermessliche Arbeit vor Ort, welche sie vermutlich aufgrund der unfassbaren Realität des Flüchtlingslagers und der damit verbundenen unfassbaren Unmenschlichkeit immer wieder an ihre Grenzen der Erträglichkeit bringen werden. Ich möchte ihre Arbeit finanziell unterstützen und frage mich darüber hinaus was ich sonst noch in Österreich tun kann – Briefe an PolitikerInnen schreiben,….
    Falls sie ganz konkrete Ideen haben, wie wir ihre Arbeit über die finanzielle Zuwendung hinaus unterstützen können, teilen sie mir dies bitte mit.
    Ich bin zutiefst dankbar, dass es Menschen wie sie gibt.
    Hochachtungsvoll
    Christa Sarcletti

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert