9 Monate Lesbos

Mit einem lachenden und einem weinenden Auge stehen wir auf der Fähre von Lesbos nach Chios. 

Durch mein Herz strömen all die Momente, Emotionen, die wir hier seit dem Brand letzten September durchlebt haben. 

Ich denke auch voller Freude an alles, was wir hier gemeinsam mit Freund*innen, anderen NGOs und Schutzsuchenden schaffen konnten. 

Ich denke an Helga, die die erste war, die mit mir hier auf der Insel kam, an die vielen gemeinsamen Stunden, die Arbeit, auch an den Spaß den wir hatten und an unser letztes Telefonat am Abend vor ihrem geplanten Flug nach Lesbos. Auch hier, in diesem Moment trage ich sie im Herzen. 

Ich denke an den brutalen Winter, überschwemmte Zelte, frierende Familien, der einem untertäglich heißem Sommer gewichen ist. Bereits jetzt im Juni klettern die Temperaturen auf bis zu 31 Grad. Die Zelte heizen sich auf wie Backöfen. 

Ich denke an die Besuche von der Initiative Courage, Bischof Hermann Glettler, Christoph Riedl/Diakonie Österreich, vieler Journalist*innen, Heidrun Primas, Obfrau unseres Vereins. An die vielen Menschen der österreichischen Zivilgesellschaft die uns hier unterstützen, an die Bewegung „Wochenende Für Moria“, an dieses große, so wunderbar stärkende WIR. Danke!

Ich denke an die vielen unsagbar traurigen, beschämenden Geschichten, wie Menschen hier psychisch und physisch misshandelt werden, an die verzweifelten Eltern, die mit ihren Kindern hier trotz positivem Asylbescheid über Monate hier festgehalten werden, an die Kinder, die neben ihren Fluchttraumata hier aufs Neue vollkommen überfordert, übersehen und verletzt werden. 

Und ich denke an all die Alleinreisenden, Singlemen und alleinerziehende Mütter, die nicht mal irgendjemanden an ihrer Seite haben der ihnen vertraut ist und mit dem sie ihre intimsten Ängste und Sorgen teilen können. 

Ich denke auch an meine vielen Tränen, die ich hier vergossen habe, an meine Wut und Trauer, an verzweifelte Telefonate, Emails, Gespräche mit Menschen unterschiedlichster Art und Charaktere, da unsere Hauptaufgabe darin liegt, für die Betroffenen mit vielen Menschen, auch den Verantwortlichen im Gespräch zu bleiben. 

Es gelingt manchmal besser, manchmal schlechter. Und ich erlaube mir zu sagen, am Schlimmsten sind die Lügenkonstrukte, die unsere Bundesregierung zuhause in Österreich verbreitet und die uns alle hier aufs Schlimmste beschämen. 

 „Alles sei besser geworden“, „hier spreche ich politisch, meine Privatmeinung ist eine andere“, so und ähnlichen Schwachsinn kann nur jemand sagen, der sich vom humanitären Gedanken total abgekoppelt hat, nie hier war und seine eigenen Ziele in den Vordergrund stellt. 

Fayad hat mich am Vorabend unserer Weiterreise nach Chios daran erinnert, was wir hier geleistet haben. 

Im September 2020  haben Helga und ich bei Home for All Volunteerarbeit begonnen, dafür konnten wir auch ins Camp und große Verteilungsaktionen organisieren und begleiten. 

7 Trucks durften wir aus Österreich entgegennehmen und einen Großteil der Dinge bereits verteilen. 

Wir haben mit 13.500 € den Küchenumbau von Home for All finanziert. 

Monatelang haben wir Lebensmittel, Gemüse, Reis, Nudeln, Kichererbsen, Nudeln, Brot, Plastikboxen für das Essen, Putzsachen für die Küche, Warehouse und Wohnungsmieten finanziert. 

Auch Gas und Diesel Rechnungen haben wir für beinahe 10.000 € übernommen, niemand ahnt wieviel an Geld dafür draufgeht. Alle Öfen werden mit Gas betrieben, die VANs, welche für die Verteilungen, für alle Besorgungen dringend notwendig sind müssen aufgetankt werden, das kostet. 

Auch das Projekt „Homeland“, wo Gemüse für die Küche von Home for all angebaut wird, lag uns sehr am Herzen. 

Mehrere Male haben wir je 2.000 € bei der Gärtnerei/Samenhändler hinterlegt. 

Wir konnten auch eine Kooperation von HfA mit Caritas und Diakonie Österreich vermitteln, herzlichen Dank dafür. 

Doch ein weiter Blickwinkel ist uns wichtig. Die Bedürfnisse von damals über 10.000 Schutzsuchenden im RIC Camp sind sehr viel mehr als eine NGO leisten kann. 

Darum waren wir auch immer bereit Einzahlungen beim Apotheker des Vertrauens von Medical Volunteers International zu machen, damit die Medikamente und medizinischer Bedarf den ehrenamtlichen Ärzt*innen im Camp zur Verfügung stehen. 

Wir freuen uns auch sehr über das gelungene Projekt mit Zaporeak, die täglich knapp 2.000 Essen für Schutzsuchende in und ums Camp kochen. So haben wir zum Beispiel für einen Monat das Obst, dass immer zum Essen dazugegeben wird, finanziert.

Wir lernten auch viele Schutzsuchende, die mit Asylbescheid in Mytilene, oder Thermi wohnen persönlich kennen. Die Regierung streicht bis auf die von IOM zur Verfügung gestellten Wohnungen sämtliche Unterstützungen. Oft haben wir am Nachmittag Lebensmittelpakete übermittelt, Besuche gemacht, usw. 

Wir gingen einkaufen, wo Dinge nötig waren, Schuhe, Medikamente, Kleidung, Essen- und Babypakete. 

Auch Rechtsberatung war und ist uns wichtig. 

Mit Nantina, der Gründerin er NGO „Defense for Children International – Greece“ die minderjährige Schutzsuchende in Athen begleitet, fanden wir einen starke NGOs für diese wichtige Rechtsarbeit.

Wir bezahlen für mehrere Menschen hier die Rechtsvertretung, die in Griechenland eigentlich jedem zur Verfügung gestellt werden sollte. 

Die Menschen gehen hier vollkommen unvorbereitet und alleine zu ihren Terminen, niemand erklärt ihnen wirklich gut worum es geht und welche Geschichten aus ihrem Leben für den Asylprozess wichtig sind. So werden oft die grausamsten Dinge wie Vergewaltigungen, Folter, Bedrohungen von fundamentalistischen Gruppen aus einem Schamgefühl heraus „verschwiegen“. Eine sehr traurige und irritierende Sache, denn das wissen auch die Behörden, die jedoch davon zu profitieren scheinen. Asyl abgelehnt. 

Was wir nachhaltig hier hinterlassen: 

  • Mehre Lagerhäuse für Home for All, wo Kleidung, Masken, Nahrungsmittel, Kinderwägen und vieles mehr gelagert und zur Verteilung vorbereitet werden kann und noch einige Dinge einlagern.
  • Einen von uns angelegten Begegnungsgarten vor der Küche von Home for All, so Schutzsuchende eine gute Zeit verbringen können und Katarina vorhat sie dort frei zu bewirten.
  • Wir bezahlen für zwei Familien (Schutzberechtigte und Schutzsuchende)  in Mytilene die Miete für je ein Haus.
  • Finanzierung der rechtlichen Begleitung von Schutzsuchenden
  • Das Kara Tepe Frühstücksprojekt, das wir finanzieren und durch das Home for All zwei Mal die Woche Frühstück an alle Kinder zwischen ein und zwölf Jahren im gesamten Camp verteilt. Verteilt wird dies von den Volunteers, selbst Schutzsuchende im Camp von HfA, die Maps/Camp, dringend notwendig zur koordinierten Verteilung, machen weiterhin Fayad und Luna.
  • Ein Haus für 2 Familien und 1 Alleinreisenden in Thermi. 

Jetzt stehe ich mit Fayad und Luna auf der Fähre und das lachende Auge ist erfüllt mit großer Dankbarkeit. 

Dankbarkeit gegenüber meiner Familie, meinen Kindern, die all das auf ihre eigene Weise mitgetragen haben. 

Gegenüber meinen Freund*innen, die ein offenes Ohr hatten, wenn die Trauer, die Empörung über diesen politisch gewollten Menschenrechtsbruch einfach zu groß war. Ich zähle sie hier nicht namentlich auf, sie wissen, dass ich von ihnen spreche. 

Gegenüber meinen langjährigen Begleiter- und Unterstützer*innen, die als Vorstandsmitglieder in unserem Verein ihre Plätze eingenommen haben und all dies hier mittragen und -verantworten. 

Große, aufrichtige Dankbarkeit gegenüber Fayad Mulla, der zu unser aller Freude das Angebot  für unseren Verein alle Projekte abzuwickeln nach mehreren Monaten ehrenamtlicher Arbeit hier auf Lesbos angenommen hat. 

Seine große Erfahrung, die er in diesem Bereich bereits mitbringt, Caritas, SOS Kinderdorf, Auslandserfahrung im Irak, Indien, Indonesien, usw. bringen alles äußerst perfektioniert auf den Boden. 

Ich habe in ihm einen herzlichen und äußerst objektiven Arbeitskollegen und Freund hier auf der Insel. Danke!

Dankbarkeit für unsere Volunteers, die monatelang hier Ehrenamt arbeiten, mit Herz und Hirn ihren Einsatz liefern, immer im Sinne der Betroffenen. Die mit Stress umgehen können und die all ihre Energie in Katastrophenhilfe und den Wunsch einer sofortigen Evakuierung investieren. Großen Respekt an jene, danke.

Für all die Vereine, die österreichische Zivilgesellschaft, die uns durch ihre finanziellen Unterstützungen, durch ihre Aktionen, ihre Statements und Zuschriften unterstützen und unglaublich viel bei uns an Kraft und WIR hinterlassen. Innigen Dank!

Last but not least an Nikos und Katerina, GründerInnen von Home For All, die vieles hier durch ihre langjährige Arbeit und ihren Campzutritt ermöglicht haben. 

Für die nicht immer einfache, griechisch und österreichisch ist sehr verschieden ;), aber vertrauensvolle Zusammenarbeit. 

Wir haben viel gelernt, viel investiert und viel bekommen. Danke! 

Auf der Fähre Richtung Chios, von all diesen Gedanken beinahe überwältigt, gleiten die Möwen an mir in einer Leichtigkeit im Wind, die mich berauscht, die mein Herz erhebt, denn es ist ein Symbol für all die Leichtigkeit und die Liebe, die es auch gibt auf dieser Welt und die wir immer wieder im Blick haben sollten/dürfen, um unsere Herzen nach all diesen Belastungen, Empörungen, Kummer erneut mit Wärme und Liebe füllen. 

Die Begegnungen mit Menschen, die wir bereits seit mehreren Monaten aus dem Camp kennen, die diesen brutalen Winter und all diese Demütigungen im Camp erleben, monatelang auf ihre Papiere der bereits langen positiv beschiedenen Verfahren warten mussten, füllen mich so sehr mit Glück. 

Sie sind eine eigene Erzählung wert. 

Ende August, Anfang September gehen wir wieder auf unsere Mission, wir werden im Sommer entscheiden, wo in Griechenland unserer Hilfe am meisten bedurft wird. Schutzsuchende in größter Not zu begleiten, Menschen zu finden, mit denen wir im WIR die Schutzsuchenden unterstützen können, ihnen eine Stimme zu geben und immer weiter zu arbeiten für eine Evakuierung dieser unmenschlichen Plätze an denen Menschenrecht jede Sekunde, unter den Augen von uns allen gebrochen wird. 

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