In der Zeit, als Helga, Fayad und ich im Camp gearbeitet haben, war mir der Kontakt zu den Bewohner:innen immer extrem wichtig.
Normalerweise ist das schwierig, die Arbeit der Verteilungen ist hart und sehr anstrengend und muss schnell gehen.
Doch dank meines wunderbaren Kollegen Fayad konnte ich viel Zeit dafür nutzen. Er hatte alles perfekt organisiert und war, gemeinsam mit den Ehrenamtlichen und unseren Community Volunteers sehr effizient.
So konnte ich Bekanntschaften machen, die mich geprägt haben und gedanklich bis heute begleiten.
Da war zb dieses Mädchen aus Afghanistan.
Sie wich mir, sobald ich ins Camp kam, nicht von der Seite. Das ist ja auch so faszinierend. 10.000 Menschen, die Leute leben weit verstreut, vorm Hügel, hinterm Hügel, unten am Meer. Aber sie wissen so schnell, wenn Du da bist – ich habe nie herausgefunden wie das geht.
Zahra wollte unbedingt mitarbeiten. Essen verteilen, Windeln zu Zelten bringen, usw.
Ich sprach nicht Farsi und sie nicht Englisch – trotzdem – ließ ich sie.
Auch wenn sie fast noch ein Kind war. Bei unserer Arbeit muss man abwägen, ja, die Taschen hatten Gewicht, doch ihr „Glücklich sein“, dabei sein zu können, konnten sie niemals aufwiegen.
Mit trotzigem Blick beobachtete sie meist das Geschehen im Camp. Wie viele Möglichkeiten der Kommunikation es gibt, konnte ich von ihr, von Zahra lernen. Blicke, ein Händedruck, sie hielt immer meine Hand, wenn wir durchs Fetzencamp marschierten
Ich glaub es war für uns beide das Tröstende, Wärmende, in diesem Moment.
In diesen Momenten der Nähe bildeten wir eine liebende Gemeinschaft, die nichts dieser Grausamkeiten durchdringen konnte. Menschen im Winter mit Plastikschlapfen, Essensausgaben, in denen die Menschen stundenlang warten mussten und Rollstuhlfahrer:innen anhand des Schlamms am steinigen Boden gar nicht vorwärts geschoben werden konnten.
Wir hielten uns an der Hand, im Herzen ganz woanders. Und es soll mir jetzt bitte niemand vom Fach sagen: „Solch Nähe zuzulassen sei unprofessionell.“ Ja eh, stellt Euch mal in so ein Camp, atmet es ein, dann reden wir weiter :).
Wenn sie mit der Tasche mit Windeln, oder Essen eintrat in ein Zelt, stellte sie mich immer vor – ich verstand kein Wort – doch ich hörte die Musik ihrer Stimme.
Auch sie hörte meine, lachte manchmal vor sich hin, während sie mir was lustiges erzählte. Und ich lachte mit, denn es war lustig.
Sie schimpfte über Jungs, die zu schnell mit einem alten Rad an uns vorbeiflitzten, drückte meine Hand, wenn sie mir was zeigen wollte und verabschiedete sich von mir mit freundlichem Geflüster, am späten Nachmittag, wenn ich das Camp verließ.
Was sie jetzt wohl macht, meine liebe Zahra?
Sie ist mit ihrer Familie weitergezogen, asylberechtigt, hoffnungsfroh. In ein Land, wo sie nicht obdachlos war, sobald sie Asyl erhielt, wo ihr Papa Arbeit finden konnte, sie, ihre Geschwister und ihre Mama Sprachkurse und Ausbildung erhielten.
Von Herzen wünsche ich ihr, dass sie, dieses wunderbare Mädchen einen Schulplatz bekommen hat, dass das Leben sie umarmt, warm und weich bettet, ihre Hand nimmt, so liebevoll, wie sie meine bei unseren täglichen Spaziergängen durchs Camp genommen hat.
Wenn Zahra in Europa die Chance bekommen hat, die Schönheit ihres Wesens vollkommen zu entfalten, wenn ihr ihre Rechte zuerkannt wurden, dann werden alle die ihr begegnen, reich beschenkt.
Ich wünsche Euch einen Tag mit berührenden Begegnungen, so wie ich sie mit Zahra haben durfte.
Herzlichst,
Doro