Wieder auf Lesbos – Ankunft Oktober 2022

Gestern auf Lesbos gelandet wurde ich herzlichst von meinem Kollegen Fayad vom Flughafen abgeholt und empfangen.
Ich bin dankbar, dass es hier dank des Einsatzes von Fayad und unseren Freiwilligen so gut läuft, auch wenn ich in Österreich bin und auch dort für Geflüchteten arbeite.
Auch in Österreich sind wir gut eingebettet in eine Gemeinschaft, haben ein sehr gutes Verhältnis mit unseren Kolleg:innen, denn nur gemeinsam können wir für Geflüchtete und ihre Rechte etwas erreichen.

Hier auf Lesbos machen mir etliche Dinge große Sorgen.

Ich habe am Abend noch Menschen auf der Flucht getroffen, solche, die ich schon lange kenne. Und es hat sich gezeigt, die Unsicherheit bis hin zur Angst bei den Menschen ist groß.
Das Leben im Camp ist hart, ohne jegliche Zuwendung. Informationen beschränken sich auf: „bitte warten“. Das zermürbt die Menschen und raubt ihnen jede Hoffnung. Sie sitzen im Camp, schlaflose Nächte, verursacht durch unterschiedliche Dinge wie Traumata, Sorge um Verwandte, Ängste bezüglich ihrer Verfahren, um ihre Kinder, die hier ein Leben fristen, das eines Kindes unwürdig ist. So wie auch in Österreich vergisst man hier völlig auf „Kind ist Kind“ und zerstört damit schon sehr viel der kindlichen Seelen, die einmal zu unserer Zukunft beitragen werden.
Die Zustände hier, auch wenn sie oft anders beschrieben werden, sind eine Katastrophe. Schlechtes Essen, unzureichende medizinische Versorgung, psychische Belastungen, kaum bis keine menschlichen Zuwendungen im Camp, keine kompetente staatliche Rechtsberatung.
Das Leben hier scheint gleich einem Glücksspiel. Wer Glück hat und jemanden trifft, der irgendwie helfen kann, der hat einen Vorteil.
Es müsste so sein, dass jede/r Schutzsuchende dieselben Möglichkeiten und Chancen hat, zu einem fairen Verfahren zu kommen.

NGOs, die über die inhumanen Zustände hier öffentlich reden, werden oft drangsaliert, was dazu führt, dass kritische Organisationen, Personen im Prinzip keinen Zugang mehr ins Camp haben. Andere ihn gerade aus diesen Gründen aber auch verweigern, weil es nicht verantwortet werden kann, sich des „Friedens willen“ mit der griechischen Regierung zu all den Menschenrechtsverbrechen hier nicht zu äußern.

Es gibt also in diesem Sinne auch kein wirkliches Monitoring, wie die Menschen im Camp behandelt werden und leben müssen. „Euro Relief“ bewegt sich hier, so wie auch in vielen anderen Camps, frei, sie arbeiten eng mit der griechischen Regierung zusammen. Von ihnen kommt nichts über die vielen Menschenrechtsverbrechen, die Art und Weise, wie man hier Menschen ihre Würde raubt.
Dass sie sich als christliche Gemeinschaft das Ziel gesetzt haben, hier möglichst viele Menschen auf der Flucht zum christlichen Glauben zu missionieren, finden wir mehr als bedenklich. Dafür die Würde der Geflüchteten zu opfern, über all die Grausamkeiten hier zu schweigen, ist in diesem Kontext besonders fatal.

Wir sind in gutem Austausch mit etlichen Campbewohner*innen, da wir gemeinsam mit neun anderen NGOs das soziale Zentrum, genannt PAREA, oberhalb des Camps betreiben.
Hier werden Workshops für Geflüchtete angeboten.
Ein Garten, Woman Space, eine Radwerkstatt, psychosoziale Begleitung für Kinder, Sprachkurse, Workshops Rechte/Geflüchtete, Fotokurse, Musik uvm. bereichern das Angebot für die Geflüchteten. In Gesprächen mit ihnen, die uns als Verein auch sehr wichtig sind, erfahren wir immer wieder viel über die Lebensumstände.

Die große Angst, die im Moment zu all den anderen Belastungen herrscht, wird hervorgerufen durch den Bau des neuen Camps. Die griechische Regierung spricht von Eröffnung des Camps im Februar 2023, welches eine völlige Isolation der Geflüchteten von der Zivilgesellschaft vorsieht.
Zeitgleich werden etliche Geflüchtete, die bereits seit Monaten mit positivem Asylbescheid auf ihre Dokumente warten, aufs Festland, in den Norden von Griechenland verlegt. Ohne behördliche Erklärung, ohne einer Frist, bis wann die Dokumente ausgestellt werden.

Auch wenn das Meer blau ist, die Sonne scheint und von außen alles relativ friedlich erscheint. Viele unserer Kolleg:innen, NGOs, Privatpersonen, können über den psychischen Druck und die Folgen der Abschreckungspolitik hier auf der Insel berichten.
Jeder Schritt, den die Regierung setzt, dient auch dazu, den Menschen klar zu machen, dass sie hier in Europa nicht willkommen sind.
Opfer dieser Abschreckungspolitik sind Familien mit ihren Kindern, Alleinreisende, Minderjährige auf der Flucht.

Ich sitze während des Schreibens in unserem Warehouse. Fayad, Ilja, Abbas und Hojat kümmern sich um die ersten Vorbereitungen für die wöchentliche Lebensmittelverteilung.
Im Moment sind 157 Menschen, die außerhalb des Camps wohnen, dringend darauf angewiesen. Es sind besonders vulnerable Menschen, auch das interessiert die Behörden nicht. Würden wir die Lebensmittelpakte nicht verteilen, würden etliche Menschen, Frauen, Männer und Kinder, die bereits „internationalen Schutz“, sprich Asyl, zugesprochen bekommen haben, hungern müssen.
Das kann und darf nicht sein.

Politisch ist hier alles unverantwortlich.

Man lässt Menschen monatelang, manche auch Jahre auf ihre Dokumente warten, es gibt in der Zwischenzeit weder ein offizielles Integrationsprogramm noch eine adäquate medizinische Versorgung, Ausbildungsprogramme, usw.
Diese Mängel, sowohl sozial als auch medizinisch, werden uns in der Zukunft teuer zu stehen kommen.
Wohin soll uns das führen, wenn Familien, Kinder, Alleinreisende und Minderjährige jahrelang ohne Aufmerksamkeit, ohne jegliche Zuwendung an den europäischen Außengrenzen fristen müssen?
Politik spricht immer wieder von der Forderung „Integration“. Wie sollen sich Menschen mit uns im Vertrauen verbinden?
Die Geflüchteten landen dann nach Jahren der Ausgrenzung, dem tristen und psychisch schwer belastenden Leben in einem Camp, der politischen Versäumnisse am Festland. Zum Großteil krank, durch die lange psychische Belastung, ohne Sprachkenntnisse, Kinder in einer permanenten Überforderung, Eltern sehr oft in einer Depression.

Dass die Menschen hier zum Großteil Asyl bekommen, trotzdem aber als „neue Europäer:innen” hier vergessen werden, wird uns einmal relativ viel Geld kosten und gravierende Auswirkungen auf unser aller Zusammenleben haben. Für die politisch Verantwortlichen alles kein Problem, denn nach einem überbezahlten Job in der Politik, in dem es weder um Visionen noch echter Verantwortung, sondern um Wähler:innenstimmen geht, wechselt man in einen noch höher bezahlten Job in die Wirtschaft, unter dem Motto: „Hinter mir die Sinflut“.  

Wesentlich sinnvoller wäre es, den Menschen von Anfang an eine soziale und psychologische Begleitung, Sprachkurse, usw. zur Verfügung zu stellen. Dass die Heilung der hier bewusst angerichteten Schäden Jahre dauern wird, die Menschen in die bittere Armut führt, was wiederum Ausgrenzung aus der Gesellschaft bedeutet, ist unverantwortlich und unverständlich, tragen wir doch alle gemeinsam für die zukünftige Generation die Verantwortung.
Mit dieser Haltung verursachen wir Leid, Schmerz und eine unverzeihliche Bürde, sowohl für die Geflüchteten als auch für uns alle.

Pushbacks:

Die Pushbacks sind weiterhin im Gange. Mit einer Brutalität, die ihresgleichen sucht.
Griechenland verteidigt ja diese Menschen- und Völkerrechtsverbrechen mit dem Argument, man müsse die Europäische Union und das eigene Land schützen.
Dass die europäische Kommission, die Kommissarin für Inneres und Menschenrechte wie auch die einzelnen Mitgliedstaaten, zaghaft bis gar nicht Konsequenzen für diesen massiven Rechtsbruch setzen, schlägt bereits Wurzeln.

In den meisten Ländern an den europäischen Außengrenzen werden die Praktiken immer brutaler, man nimmt, wie auch hier in Griechenland, bewusst Tote in Kauf, schlägt und prügelt sowohl Asylsuchende als auch Migrant:innen zurück über die Grenzen.
Bundeskanzler Nehammer geht jetzt soweit, dass das BMI – Bundesministerium für Inneres österreichische Polizist:innen nach Ungarn und Serbien zur Grenzarbeit entsendet. In Griechenland sieht man ja schon länger immer wieder österreichische Polizist:innen bei der Unterstützung der hiesigen Beamt:innen.
Populismus mit dem Ziel, Erster bei Wahlen zu sein, steht über dem Asylrecht, über dem Folterverbot, die österreichischen Polizist:innen scheinen bis dato nichts von den massiven Menschenrechtsverbrechen mitzubekommen.
Es drängt sich eindeutig der Verdacht auf, dass hier viele Augen zugedrückt werden, damit auch die österreichischen Politiker:innen, allen voran BK Nehammer und Innenminister Karner, rechter als Rechts erscheinen können. Dass dies mit der ganzen Gesellschaft etwas macht, zum Teil diese Aussendungen, Slogans die Gesellschaft verrohen lassen, auch dafür sollte man Politiker:innen zur Verantwortung ziehen können.  

Im Moment müssen wir bei unserer Arbeit hier auf der Insel sehr flexibel sein. Täglich ändern sich Dinge, Menschen werden verlegt, NGOs reisen wegen Geldmangel ab, neue Auflagen erschweren das Leben, Geflüchtete werden von einem Tag auf den anderen wo anders hingebracht.  

Es erscheint mir dringlich, auch dieses Thema anzusprechen:
Der furchtbare Krieg in der Ukraine überschattet alle anderen Themen in Europa, die mit Geflüchteten zu tun haben.
Genauso dringlich, wie es ist, den Geflüchteten aus der Ukraine zu helfen – wobei hier zu sagen ist, dass ein Großteil der politischen Versprechungen nicht viel mehr als heiße Luft waren – genauso dringlich brauchen die Schutzsuchenden an den Außengrenzen unsere Unterstützung.

Gerade in Zeiten wie diesen dürfen wir keinesfalls auf die ärmsten und schutzbedürftigsten Menschen vergessen.
Uns ist sehr wohl bewusst, dass dies eine politische Aufgabe wäre, die hier sehr bewusst versäumt wird.  
Wir sprechen das auch immer wieder öffentlich an, stellen gemeinsam mit Kolleg:innen, Aktivist:innen, usw. unsere politischen Forderungen. Es ist uns auch sehr wichtig, zu all diesen Themen mit den Verantwortlichen im Dialog zu bleiben, denn die dringend erforderlichen Lösungen müssen abgearbeitet werden. Eine große Herausforderung. Doch zu kapitulieren ist kein Weg, viel zu viel steht auf dem Spiel.
Wenn wir nicht mehr in der Lage sind, als Zivilgesellschaft jene politischen Versäumnisse abzudecken, dann leiden die Geflüchteten massiv darunter.
Dies wollen und können wir nicht verantworten.

Deshalb bitten wir auch dringend weiterhin um Unterstützung und bedanken uns sehr herzlich!
Eine gute Gelegenheit wäre für all jene, die ihn nicht brauchen, einen Teil des Klimabouns weiterzugeben. Das ist über folgenden Link möglich:

Klimabonus spenden | Flüchtlingshilfe Doro Blancke (Betrieben von Donorbox)

Oder ganz einfach auf unser Vereinskonto oder über Paypal:

Flüchtlingshilfe/refugee assistance – Doro Blancke
IBAN: AT93 3842 0000 0002 7516
BIC: RZSTAT2G420
Paypal: paypal.me/helfedorohelfen

Vielen Dank!!!

Kommentare 2

  1. Liebe Doro!
    Dein Bericht macht mich traurig und wütend, weil man den Eindruck hat, dass sich so gar nichts zum Besseren wendet und die “Grenzzäune” ganz real, aber auch im übertragenen Sinn immer höher werden. Umso mehr bewundere ich eure Ausdauer und euer Durchhaltevermögen. Danke für alles!

    1. Liebe Susanne!
      Es ist manchmal wirklich nicht leicht, hier Durchhaltevermögen zu zeigen.
      Wir sind oft sehr gefordert.
      Auch dass sich die neue Realität auf Abschreckungspolitik konzentriert und so viele Menschenrechtsverbrechen unwidersprochen akzeptiert ist eine Katastrophe.
      Danke für Dein „mit uns sein“ und Deine Wertschätzung, wir bemühen uns weiter.
      Herzlichen Gruß und alles Liebe,
      Doro

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