Ein Camp, von dem wir alle gemeinsam, Fairness Asyl, asylkoordination österreich, Diakonie Österreich, Volkshilfe Österreich, SOS Mitmensch und viele mehr schon lange gefordert haben es aufzulösen. Bis zu 23.000 Menschen in ein Lager, konzipiert für 3000, gepfercht. Es war ein Ort des Schmerzes, der Demütigung, der Abschreckung, ein Ort an dem man Menschen erniedrigt hat und sie allen Grausamkeiten, die in Europa vorstellbar und nicht vorstellbar sind, überlassen hat.
Als ich mit meiner Freundin, Helga Longin letztes Jahr dorthin aufgebrochen bin, wussten wir nicht was uns erwartet. Des Öfteren sagten wir „das war gut so“, denn vl hätten wir uns dann nicht getraut.Ja, klingt vielleicht befremdlich, denn viele von Ihnen/Euch kennen ja kaum Bilder des wahren Elends. Man kann Frauen nicht fotografieren, wenn sie in den jungles, neben der Straße, unter 1000enden von Menschen, ohne Wasser, ohne Papier ihre Notdurft verrichten müssen.So wie man auch keine gebrochenen Seelen fotografieren kann. Europa hat alles gewusst und Zeitung lesend geschwiegen. Viel zu still in sich hineingetrauert, oder verzweifelte, gebrochene Menschen zum Anlass genommen gegen Menschen auf der Flucht zu hetzen. Europa zeigte Mitgefühl und Angst gleichermaßen.„Unfassbar traurig, doch wir können nicht alle nehmen!“
Niemand dieser Skeptiker, Angsthasen und Hetzer fragte nach, wer diese „alle“ sind. Niemand sprach darüber, dass es in der Realität eine „lächerliche“ Zahl für Europa war und ist. Niemand der Verantwortlichen suchte Lösungen für Menschen, deren Schicksale „in hässlichen Bildern“ man dann doch nicht zeigen und sehen wollte. Das Camp KaraTepe wurde eingezäunt, was wohl die wichtigste Baumaßnahme war. Alle Staaten brüsteten sich für Hilfe vor Ort, was darin mündete, dass 10.000 Menschen in Plastikzelten, ohne Duschen, ohne Heizung, ohne adäquate medizinische Versorgung, ohne Wärme, ohne Hoffnung den Winter verbringen mussten. Frauen, Kinder, Männer, alle verlassen in diesem Elend. Helga und ich machten uns nicht nur Freunde auf dieser „von Gott vergessenen Insel“, denn Katastrophenhilfe war uns wichtig, doch ebenso wichtig war uns über diese Grausamkeiten zu berichten. Es läuft ja alles wie am Schnürchen in diesem Camp! NGOs bemühen sich Gutes zu tun, es ist eine ewige Baustelle, denn irgendwann soll doch auch der Strom funktionieren. Das Gelände wird von spielenden Kindern von den militärischen Rückständen befreit, war ja ein ehemaliger Waffenübungsplatz und Besucher sehen keine weinenden Menschen, denn die verkriechen sich in ihre Behausungen und stehen nicht auf der „Hauptstraße“ herum. Und alle sind so fleißig. Schon jeder hat Schuhe und eine Jacke, die Essensverteilung geht jetzt auch so schnell und die Menschen haben ja im Prinzip eh nichts anderes zu tun, um auf Essen, Arzttermine, Interviews, oder Bescheide zu warten und das ist doch gut, weil dann sind sie beschäftigt. Alles ist gut, alles ist super!
Was erwarten Sie sonst von einem Flüchtlingscamp? Und es ist ja schließlich dazu da, so wie die illegalen Pushbacks auch, dass diese Menschen, die ja nebenbei alle MigrantInnen sind, ja nicht auf die Idee kommen, ihren Verwandten zu sagen es gehe ihnen gut!Die Dramatik dran: Sie tun es trotzdem! Denn sie wollen ihre Liebsten nicht traurig machen.Sie tun es trotzdem sie schlimmste Albträume und Ängste haben. Trotzdem sie nach eisiger Kälte im Winter in glühender Hitze in Plastikzelten ausharren mussten, kaum Schatten, außer bei manchen Zelten jener, die am Tag im Camp arbeiten und uns ermahnt haben, doch nicht immer so hässliche Dinge über dieses Camp zu berichten.Die meisten Bewohner*innen haben massive Magen- Darmbeschwerden, Schlafstörungen, viele Depressionen. Es merkt halt kaum wer, der 2-3 Wochen dort ist, außer den Ärzt*innen.
Denn 2-3 Wochen können die gedemütigten Menschen ihr sanftes Lächeln „Thx, we are good“ aufrecht erhalten. Und das ist doch gut, oder? Dann kann der Rest von Europa doch gut schlafen. Jetzt wurde der schlammige, graue Boden mit weißem Schotter „übermalt“, 1000ende von Menschen großzügig aufs Festland entlassen. Ins nächste Elend, denn kein Heim, kein Willkommen, keine Bildung. Oder doch: ein paar wenige kommen in ein Programm: Griechischkurse, Wohnung für ein paar Monate, ist ja wichtig, kann man was herzeigen und die anderen EU Länder sich beruhigt zurück lehnen. Und wir brauchen dann nicht über das andere, hauptsächliche Elend reden. 1000ende, homeless, mitten in einer Millionenstadt, mit Kindern. Vergewaltigungen, Drogen, Prostituation, Suizidversuche. Frauen, die ohne Erfolg ihre Familien suchen, alleinerziehende Mütter, die nicht wissen was morgen ist. Tja, wir können halt nicht alle nehmen.KaraTepe ist jetzt sonnendurchflutet, der weiße Schotter strahlt bis zur Blendung, das blaue Meer glitzert.
Lassen wir uns nicht blenden! 1 Jahr nach dem Brand in Moria wurden Minderjährige, die von einem ehemaligen Lagerbewohner der Brandstiftung beschuldigt wurden, ohne dessen Aussage vor Gericht (er ist unauffindbar, irgendwo in Deutschland) zu 10 Jahren Haft verurteilt! Es hat niemanden interessiert! Familien wurden getrennt, Menschen gebrochen, Kinder so traumatisiert, dass sie nicht mehr sprechen, die Familie, deren kleines Mädchen vergewaltigt wurde bekam einen negativen Asylbescheid und ist nur „dank der Situation in Afghanistan“ noch auf der Insel. Und es geht weiter!
Klar, man arbeitet wie wild um Container aufzustellen, obwohl Journalist*innen großteils der Zugang zum Camp verwehrt wird, möchte man doch vermeiden, dass anhand überfluteten Zelten im kommenden Winter, nochmals die Bitte der Zivilgesellschaft aufkommt, man möge doch Menschen in unsere Länder aufnehmen.Das würde dann ja nicht in den Plan passen, wenn alle nach Registrierung und Erstbefragung weiterreisen könnten. Denn wer würde denn dann für die Abschreckung sorgen und welche Zustände für unser aller schrittweise Abhärtung/Verrohung sorgen? Denn eigentlich müsste ganz Europa weinen, müssten unsere Herzen gebrochen sein.Doch keine Sorge, für viele wird es leichter, man gewöhnt sich, mit jedem Tag an dem wir Elend sehen, Hetze hören, Tote im Mittelmeer wissen und an den Außengrenzen (Bosnien) geschlagene und geschundene Menschen sehen.„Wir können nicht alle nehmen“ ist ein billiger und grausamer Satz, der nicht mal mehr zur kleinsten Lösung auffordert. 1 Jahr nach dem Brand in Moria ist das alles Normalität! Und wir zivilisierte Europäer*innen. Ps: und neben all diesem Schmerz vermisse ich immer noch Helga! #Courage#WochenendeFürMoria#EU#Außengrenzen#Menschenrecht