Solidarität

Seit über 4 Jahren sind wir jetzt auf Lesbos.

Wir haben die europäische Abschreckungspolitik bis ins Detail erlebt, studiert und die
grausamen Auswirkungen erlebt und auch durchlitten.

Die am meisten davon Betroffenen, Menschen auf der Flucht.

Sie haben bereits so viel Schreckliches hinter sich. Den Verlust ihrer Heimat, ihrer Liebsten,
nie mehr wieder die bekannten Gesichter, das Zuhause, die gegangen Wege sehen, ich weiß
nicht, wie das ist. Ich kann nur berichten, wenn ich mich mit den Menschen verwebe, wir uns
gegenseitig zuhören, uns aufeinander einlassen – dann nehme ich einen so großen Schmerz
wahr, der auch mich nicht unberührt lässt.

Viele sagen, ihr müsst euch abgrenzen.

Ja, wissen wir.

Doch wie können wir Menschen Menschlichkeit zeigen, ihnen die, von Europa bewusst
geraubte Würde zurückgeben, wenn wir wie Europa die Grenzen unüberwindbar
hochziehen?

Ich habe mich für Nähe zulassen entschieden. Und viele unserer Freiwilligen auch – sie sind
stark, diese jungen Menschen, auch ein wunderbares Geschenk.
Wir haben uns für Nähe zulassen entschieden, für emotionale und technische.
Es ist das, was wir im herkömmlichen Sinne „Solidarität“ nennen.

Solidarität beinhaltet, dass wir die anderen wahrnehmen, ihre Sorgen, Ängste, ihre
Bedürfnisse spüren, verstehen. Nur dann können wir auch verstehen, worum es geht, wofür
womit wir uns solidarisch zeigen, wohin wir uns begegnen.

Solidarität beinhaltet auch, dass wir wissen „Wo sind die Grenzen unseres Erträglichen“.
Das ist die große Übung.

Und weil wir die täglich quasi abarbeiten, hier auf der Insel des Grauens, verstehen wir auch
sehr gut Menschen, die sich manchmal zurückziehen, die es einfach nicht mehr ertragen,
diesen Schmerz, diese Brutalität der aktuellen Politik, dieses Zelebrieren von „ohne hässliche
Bilder wird es nicht gehen“. Dass es nicht nur Bilder sind, sondern auch eine sukzessive
Verrohung der gesamten Gesellschaft beinhaltet, darüber hat niemand berichtet, können
aber Psychiater:innen und Psycholog:innen eindeutig belegen.
Ich kann es wirklich verstehen, diesen Rückzug, manchmal brauchen auch ich und mein
Team eine Pause.

Was wir dann tun – trotz Solidarität.

Wir kochen gemeinsam.

Wir genießen dabei jeden Augenblick. Z.b. wie Abdi, unser Volunteer aus Somalia exakt und
mit einer Hingabe die Gemüsezutaten schneidet, wie er die nach Heimat duftenden Gewürze
mischt, wie er den Reis wäscht.

Wie Sophia den Gurkensalat zubereitet, den wir alle so lieben. Sie dabei lacht, denn sie weiß
schon im Vorfeld, dass egal wie viel sie macht, er immer zu wenig sein wird. 🙂

Auch einen Schritt zurücktreten kann Solidarität bedeuten, denn auch im bewussten
Rückzug liegt Mut, manchmal auch was Held:innenhaftes.
Mitten in diesem Schmerz zu stehen, all diese unfassbaren Grausamkeiten zu sehen, zu
wissen, jeder Moment kann Verbesserung bringen und trotzdem zu sagen, halt, ich geh mal
hier raus, das ist eine Klasse für sich.

Gut, dass wir das können und auch gut, dass ihr das könnt.
Und wunderbar zu wissen, nach dieser Pause sind wir wieder gemeinsam da. Präsent, mit
allen Sinnen, stark, um alles abzuarbeiten und liebevoll, um den Geflüchteten ins Gesicht zu
sehen und ihre Geschichten in unsere Herzen zu lassen.
Ist das nicht Weihnachtsspirit…..?

In der Zuversicht, dass wir auch auf dieses „Immer wieder zurückkommen“ von Euch
vertrauen dürfen, auf Euer „Solidarisches mit uns sein“ im Sinne der Menschen auf der
Flucht und unser aller Rechte, das ist ja schon sehr weihnachtlich und dafür danken wir Euch
sehr.

Solidarität ist eine Haltung, die das Leben von uns selbst und vielen anderen bereichert.
Warten wir nicht aufs „Christkind“, leben wir diese Solidarität und diese Liebe zum Wohle
von uns allen.

In diesem Sinne, vorweihnachtliche Grüße,
in Verbundenheit und mit soldiarischen Grüßen,

Doro

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