Neuigkeiten von Lesbos – März 2024

Nach einer kurzen Pause zuhause bin ich seit 2. März wieder auf Lesbos. Mit mir ein junger Freiwilliger aus Österreich/Graz – Lenny Lopicic.

Wir sind wieder ein wunderbares Team hier, Abdi, Afshin, Khalif, Lenny, Sophia und ich.
Die Basis unserer Arbeit ist ein Team, welches gemeinsam die Höhen und Tiefen unseres gemeinsamen Alltags trägt, konsequent und seriös arbeitet und die Menschen auf der Flucht und ihre Bedürfnisse im Auge hat. Deshalb starten wir die Woche mit einem ausgedehnten Teammeeting, in dem die Arbeit der Woche besprochen wird, aber auch unsere persönlichen Umstände und Bedürfnisse nicht zu kurz kommen. Auch unsere Community Volunteers haben gelernt diese zu artikulieren, nach all den schlimmen Erlebnissen der Flucht Vertrauen gefasst. Es ist uns wichtig, dass sie, genauso wie wir, ihre Rechte und auch ihre Pflichten kennen und wir darüber reden können. Ein erster Schritt für Integration und gutes Zusammenleben.

Im Moment arbeiten wir auf Lesbos an folgenden Projekten:



Wöchentliche Lebensmittelverteilung
An ca. 200 besonders vulnerable Personen, die aus unterschiedlichen Gründen außerhalb des Camps leben. Die meisten von ihnen bekommen die kleinen Wohnungen von NGOs zur Verfügung gestellt. Wir tragen zu diesen Wohnprojekten mit der Lebensmittelversorgung bei. Der Inhalt der Pakete ist so ausgerichtet, dass sich jede Person 1-mal täglich eine warme Mahlzeit kochen kann. Es geht hier um Familien, sowohl als auch um alleinreisende Personen.

Inhalt: 6 – 7 Trockenlebensmittel, monatlich auch Öl, Zucker, Salz und Gewürze. Sonst Reis, Nudeln, Soja, Tomatenmark, oder gewürfelte Tomaten, Linsen, Bohnen, oder Kichererbsen. Ab und zu auch Tee. Dann frisches Obst und Gemüse und jede Woche Fleisch, entweder Huhn oder Lamm.

Englisch-Unterricht
Es ist uns sehr wichtig, dass Menschen auf der Flucht mit Einheimischen und den NGOs in Austausch kommen können. Es erleichtert auch das Artikulieren ihrer Bedürfnisse.

Deshalb unterrichten wir 2-mal die Woche, in 3 unterschiedliche Gruppen: Anfänger, mittlere Fortgeschrittene und Fortgeschrittene. Wir haben gemeinsam viel Spaß in diesen Gruppen. Sie finden an unserem Standort im sozialen Zentrum „Parea“ statt. Wir offerieren unseren Schüler:innen auch Obst und Kekse, die Atmosphäre ist entspannt, die Ergebnisse gut. Auch der soziale Austausch in diesen Gruppen ist eine große Bereicherung für alle.



Unterstützung bei gesundheitlichen Problemen
Die medizinische Versorgung im Camp ist schlicht und einfach katastrophal. Es gibt offiziell nur ein Arzt und 2 NGOs, die sich um durchschnittlich 5.000 Menschen annehmen. CMA – Crisis Management Association und BRF – Boot Refugee Foundation. Die finanziellen Mittel sind sehr begrenzt, was so viel heißt, dass in den meisten Fällen nur akute Erstversorgung stattfinden kann.

Deshalb bezahlen wir bei dringendem Bedarf Zahnbehandlungen und gynäkologische Untersuchungen. In einem Camp wie diesen medizinisch nicht adäquat versorgt zu sein, bedeutet für die Menschen zusätzlich Stress, oft auch Schmerzen. Die daraus entstehende psychische Belastung ist enorm. Wenn andere NGOs mit Fällen auf uns zukommen, versuchen wir immer zu helfen.
MietenIm Moment werden viele Menschen aus dem Camp hinausgeworfen, die bereits Asyl haben, aber keinerlei Möglichkeiten, weiterzureisen. Die Menschen werden unter Druck gesetzt, das Camp zu verlassen. Viele wissen dann nicht wohin, man kann die Insel nur mit einem Ticket für Flugzeug, oder Fähre verlassen. Das kostet Geld. Da viele der Geflüchteten hier bis zu 2 Jahren ohne Einkommen verbracht haben, stehen sie vor dem Nichts und wissen nicht wohin. Das Transfer – Büro sieht darin keinen Hinderungsgrund, die Menschen zu vertreiben. Bevor Familien mit Kindern, oder kranke Menschen auf der Straße landen, versuchen wir, so wie viele andere NGOs auch, eine kleine Wohnung zu finden und zu finanzieren. Auch bei Krankheitsfällen, wenn die Geflüchteten aus medizinischer Sicht nicht im Camp bleiben können, versuchen wir zu helfen. Im Moment finanzieren wir 2 Wohnungen, der Bedarf wäre wesentlich höher.

Rechtsberatung
Mit 4.000 € monatlich finanzieren hier vor Ort eines der größten Rechtsberatungsprojekte auf der Insel. Überall wird das Recht der Menschen auf der Flucht beschnitten – massiv beschnitten. Viele Menschen die hier landen, auch sehr viele Frauen mit Kindern, wissen im Wesentlichen gar nicht, was Asyl bedeutet. Sie haben so viele schmerzhafte Erlebnisse hinter sich, Verlust der Heimat, der Liebsten, Misshandlungen, sexuelle Übergriffe bis hin zu Vergewaltigungen und Folter. Die Scham darüber zu sprechen ist oft zu groß. Die Menschen sind nach ihrer grausamen Flucht oft auch in einer Depression, ziehen sich zurück. Sie werden im „Normalfall“ nicht auf ihr Asyl-Interview vorbereitet, erhalten lediglich einen Zettel mit Nummer und Datum, wenn es so weit ist.

Gerade deshalb sind wir sehr dankbar, dass wir mit DCI großartige und extrem engagierte Partner:innen finden konnten. Die Asylanwältinnen Nantina Tsekeri und Iris Pappa arbeiten die Fälle konsequent bis zur letzten Entscheidung ab, die von ihren Rechtsberater:innen vorbereitet werden. Monatlich erhalten ca. 70 Menschen eine angemessene Beratung und werden in das Programm aufgenommen, wir sind sehr dankbar, dass wir dieses Projekt weiterhin finanzieren können. Viele positive Entscheidungen und auch wesentliche weiterfolgende Unterstützungen konnten dadurch erreicht werden. Regelmäßige Berichte darüber sind auf unserer Homepage zu finden.



Project CleanUp
Monatelang, oft mehrere Jahre in einem Camp zu verweilen, einfach zu warten und nichts zu tun haben, das ist eine enorme Belastung für Menschen und verschlechtert die psychische Situation zusehends. Deshalb versuchen wir auch immer wieder Projekte zu schaffen, in denen sich Menschen auf der Flucht betätigen können und in einer Gemeinschaft zusammen sind. Wir starten jetzt nach dem Winter, wo das Wetter wieder besser wird, das CleanUp Projekt. Wir reinigen gemeinsam mit Geflüchteten die Strände, Parks, usw. von Müll und dem vielen Plastik. Wir sehen das auch als ersten Schritt, die Regeln und die Struktur in Europa kennen zu lernen und zu begreifen. Wir haben da auch immer viel Freude gemeinsam, jausnen dazwischen auch zusammen, Beziehungen werden geknüpft. Am Ende verteilen wir Lebensmittelgutscheine, die für alle Betroffenen eine große Hilfe sind.  

Unterstützung einer Unterkunft für Minderjährige
Etwa 30 Minderjährige sind in einer Unterkunft, relativ weit weg von Mytelini, der Hauptstadt von Lesbos, untergebracht. Die Jugendlichen haben keine Chance sich irgendetwas zu besorgen. Sie bekommen einmal am Tag ein warmes Essen, abgepackt und gekocht vom Caterer, der auch das Camp beliefert. Dank guter Kooperation mit der dortigen Leitung unterstützen wir die Jugendlichen mit Obst, Kekse, Milch, Tee, manchmal auch eine größere Portion Gewürze, um das Essen zu verfeinern. Jetzt im Ramadan legen wir auch Datteln dazu.



Safe Shelter for Women
Unsere Partner:innen von Welcome Office mieten seit langem Wohnungen für besonders vulnerable Personen und Familien an. Wir liefern auch dort wöchentlich die Lebensmittelpakete für die Bewohner:innen.

Sie haben im Jänner eine kleine Unterkunft angemietet, in der 5 besonders vulnerable Frauen mit ihren Kindern Unterschlupf finden. Viele Frauen sind hier in einer extremen Situation. Genitalverstümmelung, Vergewaltigungen auf der Flucht, Flucht aus der Zwangsehe, viele Themen, die uns sehr betroffen machen.

Das Projekt wird von unseren Kolleg:innen hervorragend geführt, auf die Bedürfnisse der Frauen und Kinder behutsam und professionell eingegangen, darum haben wir uns entschieden, dieses Projekt mit Bezahlung der mtl. Miete von 450€ zu unterstützen.

Unterkunft für Frauen
Die Nachfrage nach diesen Unterkünften ist enorm. Auch seitens der Rechtsberater:innen und medizinischen NGOs bekommen wir immer wieder Anfragen. Deshalb planen wir hier auf Lesbos ein Frauenprojekt.

Wir suchen bereits ein erschwingliches Haus, eine Wohnung, in der 4 – 5 alleinreisende Frauen eine adäquate Unterkunft finden können. Wir haben uns entschieden dieses Projekt für Frauen ohne Kinder zu gestalten. Kinder sind nicht nur eine große Herausforderung bezüglich ihrer Traumatisierungen, mit ihnen zu arbeiten verlangt auch eine spezifische Ausbildung und viele Sicherheitsvorkehrungen, die wir mit unserem relativ kleinen Team nicht bieten können.

Der Aufgabe eine Unterkunft für bis zu fünf Frauen gut zu gestalten und zu begleiten, sehen wir uns nach reiflicher Überlegung gewachsen. Sophia, die seit Weihnachten bei uns ist und im Fluchtbereich bereits viel Erfahrung mitbringt, hat sich bereit erklärt, weiterhin mit uns auf der Insel zu bleiben, wenn wir dieses Projekt realisieren. Wir würden die Frauen in unser Rechtsberatungsprojekt aufnehmen, psychologische und med. Termine vereinbaren, sie mit Kleidung und wöchentlichen Lebensmittelpaketen versorgen und sie gut und mit viel Liebe begleiten. Das Projekt würde im Jahr ca. 25.000 bis 30.000 Euro kosten und wir wären sehr dankbar, wenn wir dafür, die dringend notwendige Unterstützung finden würden.

Kochprojekt „Makerspace“
Makerspace-Lesbos ist eine reine Refugee NGO. Sie arbeitet im sozialen Zentrum, in dem auch wir eingemietet sind und bringen vielen Menschen im Camp existenzielle Hilfe. Sie reparieren Mobiltelefone, oft die einzige Möglichkeit mit der Familie im Heimatland in Kontakt zu bleiben. Auch Wasserkocher, elektrische Kochtöpfe und viele Fahrräder werden dort jede Woche wieder in Schwung gebracht. Wäre Makerspace mit seinem Leiter, Hamed, selbst ein ehemals Geflüchteter aus dem Iran, nicht auf der Insel, würde ein sehr wichtiges Element fehlen.

Wir kaufen für die 8 Mitarbeiter:innen wöchentlich Lebensmittel ein, die ihr „Koch“ dann täglich verarbeitet. Die Geflüchteten, die hier tätig sind, leben alle im Camp und die meisten von ihnen sind aus der Essensversorgung ausgeschlossen. So erhalten die Mitarbeiter, die extrem viel leisten, einmal am Tag ein warmes Essen.

Weiters bestellen wir auch immer wieder Fahrrad- und Elektroteile und schicken sie zu Makerspace nach Lesbos. Das letzte Mal gerade Anfang März – die Freude von Hamed war wunderbar anzusehen.


Weiters bestellen wir auch immer wieder Fahrrad- und Elektroteile und schicken sie zu Makerspace nach Lesbos. Das letzte Mal gerade Anfang März – die Freude von Hamed war wunderbar anzusehen.



Persönliche Begleitung/verlässliche Begegnungen mit Geflüchteten
Es ist mir persönlich ein großes Anliegen den Menschen auf der Flucht Menschlichkeit und Wertschätzung entgegenzubringen. Ich höre hier so viele Geschichten, sehe viele Tränen, Verluste, Schmerz, der allein kaum zu bewältigen ist. Sich für die Menschen zu öffnen, sie zu sehen, wie sie sind, mit ihnen zu reden, ihnen Zeit zu schenken, ihre Bedürfnisse zu hören, ihre Begabungen zu sehen, all dies ist ein wichtiger Teil meiner/unserer Arbeit.

Wir alle haben im Leben eine Aufgabe, viele von uns auch eine Berufung. Meine besteht darin Menschen in ihrer Ganzheit zu sehen, sie zusammenzubringen, Ängste abzubauen und Möglichkeiten zu suchen, wie wir trotz unserer Unterschiede gut zusammenleben können. Miteinander im Austausch und im Gespräch zu bleiben. Dieser Wunsch, diese Bestrebungen sind nicht immer populär, manchmal fühle ich mich auch einsam dabei, denn diese Dinge können weder im Schnellverfahren abgearbeitet, noch berichtet werden. Sie brauchen Zeit, Zeit die vielen heute zu fehlen scheint.

Es ist nicht populär, sich mit einer Afghanin am Straßenrand neben dem Camp niederzulassen, weil ich sie weinend vorgefunden habe und sie nach all ihren Erlebnissen Angst hat in mein Auto zu steigen und trotzdem ist es so wichtig, sich diese Zeit zu nehmen und es zu tun. Es ist der erste Schritt für Nähe, auch wenn dann anfänglich viele Minuten des Schweigens folgen, weil wir beide erst eine Form finden müssen, mit dieser Situation umzugehen. Doch die gemeinsame Stille, dieses Aushalten kann dazu führen. Hier neben all unseren Projekten, die harte Arbeit sind, die Menschen zu sehen, sie anzunehmen wie sie sind und darauf gegenseitig gute Beziehungen aufzubauen, das ist es, was ich wünsche und suche. Danke Euch allen, dass wir/ich immer noch, Dank Eurer Unterstützung an diesem so grausamen Ort, an dem trotzdem so viel Gutes möglich ist, sein können/kann.

Aktivismus für Menschenrechte
Wir schweigen nicht und werden das auch weiterhin nicht tun. Wir sind hier vor Ort mit vielen Menschen im Austausch, von Mitarbeiter:innen der Europäischen Kommission, Einheimischen, die in diesem Bereich arbeiten, bis hin zu anderen NGOs und Aktivist:innen.

Wir schicken in regelmäßigen Abständen Dokumentationen über die Lage vor Ort an verantwortliche Politiker:innen. Sowohl auf EU-Ebene als auch auf nationaler Ebene. Viele der Verantwortlichen wissen in der Praxis nicht, welche Grausamkeiten hier verübt werden. Pushbacks am offenen Meer, wo den Menschen ihr letztes Hab und Gut abgenommen wird, menschenunwürdige Unterbringung, den ganzen Winter kalte Duschen, kaum medizinische Versorgung, keine akute psychologische Unterstützung. Familien werden willkürlich getrennt, Minderjährige ohne kindgerechte Betreuung ihrem Schicksal überlassen, Menschen mit Asyl ohne irgendeine Unterstützung, Perspektive auf die Straße geworfen. Alle Geflüchteten werden hier wie Menschen 2. Klasse und schlimmer behandelt.
Dies zur Sprache zu bringen, immer wieder Verantwortliche und Journalist:innen zu kontaktieren, konstant Änderungen zu fordern, auch mögliche Lösungen zu präsentieren, auch das ist eine wichtige Aufgabe.

Auch in Österreich gebe ich immer wieder Vorträge, unsere Vorstandsmitglieder und auch unsere ehemaligen Ehrenamtlichen geben sich große Mühe, diese so wichtigen Themen nicht „einschlafen“ zu lassen. Die Gefahr, dass all dies zur Normalität wird ist groß.
Damit würden nicht nur unsere eigenen Werte und Vorstellungen von gutem Zusammenleben verraten und verkauft werden, wir verbauen uns allen damit auch eine gemeinsame friedliche Zukunft.

Integrationserfolge in Österreich
Auch hier haben wir viele schöne Geschichten zu berichten, voller Freude und Dankbarkeit sind wir darüber.

Diesem Thema werde ich in Kürze einen eigenen Newsletter widmen. In diesem Sinne danke ich aufs herzlichste für Eure finanzielle Unterstützung, die es möglich macht, dass wir diese, unsere Arbeit bereits im 4. Jahr erfolgreich und mit viel Liebe tun können.

Auch Euch Frieden im Herzen und viele wunderbare Momente und Begegnungen im Alltag,
herzlichst,
Doro und Team

Und natürlich freuen wir uns auch über Spenden auf unser

Konto oder per Paypal:
Kontonummer: AT93 3842 0000 0002 7516
BIC: RZSTAT2G420
Kontoinhaberin: Flüchtlingshilfe/refugee assistance – Doro Blancke
Paypal: paypal.me/helfedorohelfen

Kommentare 1

  1. Ich habe gerade den Newsletter gelesen. Danke dafür!
    Ich bin sehr berührt!
    Danke, liebe Doro Blancke für die Arbeit, die Du mit Deinem Team machst. Das ist eine so wichtige Arbeit und ich fühle gerade, dass Ihr auf Lesbos stellvertretend für uns andere, teilweise leider auch ignorante, unwissende oder auch „einfach nur“ von den eigenen Sorgen überforderte EurpäerInnen, die „Fahne der Menschlichkeit“ hoch haltet.
    Danke, dass Ihr das tut! Ich wünsche Euch allen das Allerbeste! Kraft, Humor, Liebe und Gelassenheit und außerdem das Einsehen und die Einsicht der europäischen Polititik und Wähler.
    Herzliche Grüße, Susanne K. Weber❤️🤗

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