Neuer Start ins Jahr auf Lesbos – europäische Außengrenzen.

Seit 4. Jänner bin ich wieder persönlich auf Lesbos. Mit einem wunderbaren Team, Sabine und Franz. Sabine war bereits bei uns, sie kennt die Abläufe, Franz ist mit der Arbeit mit Geflüchteten bestens vertraut, er war lange bei Diakonie und Deserteur- und Flüchtlingsberatung, Wien. Die ersten Tage verliefen sehr gut, waren aber auch sehr anstrengend. Immer wenn ich nach Lesbos komme, gibt es viele Neuigkeiten, ich treffe Partner:innen, informiere mich bei Rechtsvertreter:innen über die aktuelle Situation und treffe mich zu vielen persönlichen Gesprächen mit Menschen auf der Flucht. Dies ist für mich besonders wichtig, denn durch die persönliche Beziehung zu Geflüchteten, erkennen wir viel besser das Ausmaß dieser grausamen Abschreckungspolitik und, was beinahe noch wichtiger, wir vermitteln den Menschen das Gefühl gesehen und gehört zu werden. Wir versuchen auf alle Nöte und Bedürfnisse einzugehen, manchmal können wir aber nur zuhören, Tränen aushalten, einfach da sein. Nicht alle Herausforderungen, nicht jeder Schmerz kann gelöst werden.

Dank Eurer großartigen Unterstützung können wir die nächsten Monate weiterarbeiten wie bisher, was auch noch dringend notwendig ist. Wir danken dafür aufs Herzlichste! Auch wenn die Zustände an den Außengrenzen, speziell in Griechenland und auf den ägäischen Inseln immer noch dramatisch, menschenunwürdig und gegen jedes Menschen- und Asylrecht sind, gibt es leider viel zu wenig Information darüber in den Medien. Neben den massiven Rechtsbrüchen, Pushbacks vom Land aus, kaum Monitoring bezüglich der Verfahren, auf Lesbos im Camp immer noch zw. 8 und 13 Uhr kein Strom, das Essen des Caterer zum Teil verdorben, Lebensmittelinsekten im Essen (wir haben davon Videos veröffentlicht), Kindern und Jugendlichen werden jahrelang ihrer Bildung beraubt, uvm.. Hier vor Ort zu arbeiten ist dringend notwendig. Wir dürfen die Menschen hier nicht im Stich lassen. Die griechische Regierung wartet förmlich darauf, bis allen NGOs hier quasi „die Luft“ ausgeht. Wenn das passiert können sie schalten und walten wie sie wollen und niemand berichtet, oder ist hier als Zeitzeug:innen. Die Geflüchteten werden ihrer Rechte beraubt, misshandelt, Pushbacks finden statt, ohne dass die europäische Zivilgesellschaft darüber informiert wird. Das kann und darf nicht sein.

Rechtsberatung:

Unsere Projektpartner DCI – https://www.defenceforchildrengreece.org können hier auf der Insel eines der 3 größten Rechtsberatungsprojekte anbieten. Dies alles Dank Eurer Unterstützung, danke! Wie dringend notwendig dieses Projekt ist sehen wir anhand der Berichte, Reports, die wir alle 4 Monate von ihnen erhalten. Die Willkür und die Rechtsbrüche, die hier in Griechenland seitens der Behörden passieren sind unfassbar. Die Menschen auf der Flucht sind dem schutzlos ausgeliefert. Sprachschwierigkeiten, Scham, Depressionen, vieles führt auch dazu, dass die Geflüchteten oft nicht über ihre wahren Fluchtgründe sprechen. Umso wichtiger ist eine konsequente und seriöse Rechtsberatung. Der, ins Deutsche übersetzte Bericht von Okt. 22 – Dez. 22 wird in Kürze hier veröffentlicht.

Lebensmittelpakete:

Ca. 200 besonders vulnerable Personen, die aus besonderen Umständen heraus außerhalb des Camps untergebracht wurden und beinahe mittellos sind, erhalten von uns wöchentlich, immer am Samstag ein Lebensmittelpaket. Wie wichtig diese Unterstützung ist erfahren wir aus vielen Gesprächen und nehmen wir auch wahr, wenn wir die Familien und Alleinreisenden in ihren Häusern besuchen. Man kann es sich oft kaum vorstellen. Wer dazu etwas beitragen möchte, bitte sehr gerne unter: https://donorbox.org/lebensmittel-flucht-lesbos

Sprachunterricht:

3 mal die Woche unterrichten wir Geflüchtete im sozialen Zentrum „Parea“, in dem wir auch Partner sind, Englisch. Mein Team macht dies wunderbar, sehr gerne bin ich beim Sprachunterricht vor Ort. Obwohl uns der Erfolg des Lernens auch wichtig ist, sehen wir diese Zeit als sehr viel mehr. Sie ist eine Zeit des Vertrauens aufbauen, des Austauschs, ein erster Schritt der Integration und auch eine Zeit der Leichtigkeit. Ich bin sehr dankbar, dass wir immer wieder Freiwillige vor Ort haben, die dies auch so sehen und sich wunderbar auf diese Stunden vorbereiten. Meine Freude, als ich jetzt im Jänner wieder hier gelandet bin war sehr groß. Die Schüler:innen haben viel gelernt und sind lebendige Gruppen geworden, die in großem Respekt und in Freude zueinander gefunden haben. Danke an unsere großartigen Unterrichtenden.

Gerichtsverhandlungen:

Hier in Griechenland tut der Staat was er will und viele europäische Politiker:innen und Machthaber:innen sind dankbar, dass Griechenland die „Arbeit der schrecklichen Bilder“ hier vor Ort erledigt. Menschen unterliegen vom Land weg den zahlreichen Pushbacks, sie werden gekidnappt, in Container gesperrt, sehr oft auch all ihrer Sachen beraubt, in der Morgendämmerung auf Rettungsinseln gesetzt und in türkische Gewässer zurück geschleppt. Oftmals werden die Menschen dabei auch grausam misshandelt. Menschen, welche Geflüchteten hier vor Ort helfen, oder aber geholfen haben, werden kriminalisiert. Seit ich hier bin war ich schon mehrmals beim Gericht um Solidarität mit den Betroffenen zu zeigen und um auf die skandalösen Zustände hier vor Gericht aufmerksam zu machen. Heute, Freitag 13.1.23 geht es mit dem Prozess gegen Sara Mardini (Refugee aus Syrien, bekannt aus dem Film „Die Schwimmerinnen“, Sean Binder, Nassos Karakitsos und 21 anderen, darunter auch einem ehemaligen Mitarbeiter von MSF – Ärzte ohne Grenzen, weiter. Sie haben Menschen, die vollkommen durchnässt, erschöpft, verzweifelt, tlw. verletzt, auf der Insel gelandet sind, geholfen. Erstversorgung, warme Decken, usw. bereit gestellt. Jetzt stehen sie hier in Griechenland vor Gericht. Es drohen ihnen bis zu 20 Jahren Gefängnis. Junge, engagierte Menschen, die sich für Menschen in Not eingesetzt haben, einen humanitären, natürlichen Reflex gezeigt haben, sollen vom Gericht eines Staates verurteilt werden, der täglich massiven Menschenrechtsbruch an den Tag legt. Der täglich menschenrechtswidrige und grausame Pushbacks zu verantworten hat, der Geflüchtete behandelt, wie wir es uns kaum vorstellen wollen und können. Absurd. Viele Leute aus ganz Europa sind vor Ort um ihre Solidarität zum Ausdruck zu bringen. Auch ich werde heute beim Gericht vorbeischauen. Die aktuelle Frage ist, ob auch die Europäische Agentur für Grundrechte – FRA https://fra.europa.eu/de/about-fra vor Ort ist? Dies wäre mehr als notwendig. Die Verfahren hier sind schlicht und einfach erschütternd. Würde man in Österreich Prozesse, wie ich sie hier erlebt habe, führen, würde die Verhandlung sofort abgebrochen.

Winter – Engergiekosten – Preise

Auch hier auf Lesbos ist der Winter eingekehrt. Obwohl dazwischen immer wieder die Sonne scheint, kommt es zu heftigen Regenfällen und Stürmen. Die Energiekosten sind hoch, die Preise explodiert. Viele Geflüchtete frieren, sind mangelernährt. Bei dem starken Regen, der vom Wind gepeitscht die gesamte Kleidung am Körper durchnässt, bleiben viele Geflüchtete in ihren Containern. Depressiv, verzweifelt, mit ihren Ängsten und Sorgen alleine. Ich möchte auch darauf aufmerksam machen, dass ein Großteil der hier Gelandeten früher, oder später Asyl bekommt, also in Hinblick auf gutes Zusammenleben, hier auch massive Fehler gemacht werden. Wie sollen sich Menschen, die so entwürdigend behandelt wurden, sich mit der europäischen Gemeinschaft friedlich zusammenschließen, das ist eine Frage, die mich beinahe täglich beschäftigt. Viele besonders vulnerable Personen, Familien, die in kleinen, feuchten Wohnungen in Mytelini leben, müssen auf Heizung verzichten, da sie es sich schlicht und einfach nicht leisten können. Auch wir, in unserem Haus, heizen wir aus Sparmaßnahmen, die Stromkosten sind unbeschreiblich hoch, praktisch nur unsere Wohnküche – mit Holz. Diese bietet uns dann aber einen gemütlichen, warmen Ort an dem wir uns aufwärmen und entspannen können. Oft sprechen wir darüber, wie schlimm das sein muss, wenn man sich kaum aufwärmen kann. Wir sollten intensiv darüber nachdenken, was wir Menschen zumuten dürfen und wie wir uns alle für ein geordnetes und menschenwürdiges europäisches Asylsystem einbringen können. Denn diese menschenverachtende Behandlung von Menschen auf der Flucht betrifft uns alle, unsere ganze Gesellschaft. Lassen wir uns ein darauf, versuchen wir mit aller Kraft und mit Liebe diese Situationen, diese unwürdigen Zustände zu verändern. Wir treffen auch so viele Kinder hier, auch sie werden oft jahrelang ihres Kindseins beraubt. Eine unentschuldbare Haltung der Behörden, die wir keinesfalls tolerieren und akzeptieren dürfen.

Aktivistische Arbeit:

Immer wieder treffe ich mit mit Politiker:innen um genaue Berichte abzugeben, aber auch um unser aller Forderungen zu platzieren. Seit ich hier bin hatte ich ua. ein Zoommeeting mit MEP Theresa Muigg, S&D, mit MEP Clare O‘ Sullivan, ein persönliches Treffen, sie ist wegen des Prozesses hier vor Ort. Ich hatte auch die große Ehre an einem Buch mitzuarbeiten, welches von Dr. Othmar Karas und Dr. Judith Kohlenberger initiiert und gestaltet wurde. Ev. Terminvormerkung: 9. Februar 23, Thalia, Wien, Buchpräsentation, Titel: „So schaffen wir das“. Ich bemühe mich auch sehr in einem guten Netzwerk von Initiativen, Vereinen, Freiwilligen und Aktivist:innen aktiv zu bleiben. Danke an alle, die mich dabei unterstützen, meinem wunderbaren Team Infos und Kontakte zukommen lassen und auch ein großes Danke an alle für Eure Geduld. Wenn ich an den Außengrenzen tätig bin, ist es nicht immer leicht, alles sofort zu beantworten. Doch wie der Titel des oben erwähnten Buches sagt: „Gemeinsam schaffen wir das“.

Liebe Unterstützer:innen, Freund:innen, wir danke Euch von Herzen für Eure konsequenten Hilfen, für Euer Interesse an der Situation hier in Griechenland und auf Lesbos und wir wünschen uns, dass wir dank Euch noch lange hier arbeiten und den Menschen neben all den existenziell notwendigen Dingen auch menschliche Wärme schenken können. Herzlichen Dank dafür.


  • Per ÜberweisungKontonummer: AT93 3842 0000 0002 7516
    BIC: RZSTAT2G420
    Kontoinhaberin: Flüchtlingshilfe/refugee assistance – Doro Blancke
  • Mit PaypalOder ganz bequem per Paypal: paypal.me/helfedorohelfen

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