Während ich mit unserem engagierten Team auf Lesbos bin und arbeite, bat ich meinen Kollege, Fayad Mulla nach Zypern zu fliegen. Fayad beobachtet die Lage der Geflüchteten sehr genau und hat immer wieder die Zustände dort angesprochen. Er meinte es sei niemand vor Ort, der Menschen echte Hilfe gibt. Fact Finding, das ist sehr wichtig, für weiter Aktionen und um genau über die Lage vor Ort Bescheid zu wissen. Über Zypern spricht kaum jemand und dort werden Menschen wie in #Moria und schlimmer behandelt.
Es ist noch viel schlimmer, als wir uns vorstellen können und wollen. Seine Berichte gehen mir durch Mark und Bein. Es ist bestürzend und Alarmstufe rot, denn die Menschen sind dort vollkommen sich selbst überlassen.
Gerade heute berichtet der ORF https://orf.at/stories/3291609/ über Ausschreitungen in diesem Camp. Mein Kollege zu diesem Zeitpunkt unmittelbar vor Ort. Er ist total erschüttert. Er hat schon vieles gesehen in seinem Leben, doch diese Art Menschen zu “halten”, übertrifft alles, was wir bisher kennen. Eskalation, Gewalt und Ausschreitungen sind vorprogrammiert. Diese Verantwortungslosigkeit nimmt einem den Atem.
Fayad’s 1. Bericht:
Das Camp “Pournara” – Emergency Reception Center
https://www.google.com/maps/place/Pournara+Emergency+Reception+Centre+(First+Reception+Centre+%2F+Rescue+Camp+%2F+Kokkinotrimithia+Camp)/@35.1577902,33.2286579,15z/data=!4m5!3m4!1s0x0:0x6315bd99683f2265!8m2!3d35.1577826!4d33.2286579 befindet sich in der kompletten Einöde, in deren Umgebung nur ein Unternehmen für Steinverarbeitung zu sein scheint. Rund herum liegen nur Felder, die übersät mit tausenden, wenn nicht gar zigtausenden Flaschen (verwenden die Menschen zur Reinigung nach der Notdurft) und Exkrementen sind. Der nächste Supermarkt (kein billiger) ist 45 Minuten zu Fuß entfernt. Der nächste Lidl rund eine Stunde. Nicosia ist in 25 Minuten mit dem Auto erreichbar. Öffentliche Verkehrsmittel scheint es überhaupt keine zu geben. Zumindest habe ich keine gesehen und auch google maps sagt, dass es keine gibt.
Um das Camp ist wie gesagt alles voll Müll und Exkrementen. Der Gestank ist teilweise richtig schlimm und die Fliegen sind überall. Das ist aber noch nichts gegen das Camp selber, wo der Geruch teilweise bestialisch ist. Kot an vielen Stellen, genauso wie offene Rinnsale, direkt neben Kochstellen und Schlafplätzen. Ein Teil der Menschen wohnt in Zelten, die an furchtbarem Zustand kaum zu überbieten sind. Ein weiterer Teil wohnt in Plastikhütten und Containern, deren Zustand kaum besser ist. Unbegleitete Minderjährige wohnen in einer erst kürzlich eingerichteten Safezone, die aber den Namen aber kaum verdient. Es gibt zwei Sozialarbeiter:innen und zwei andere Mitarbeiter:innen für dutzende Kinder.
Die Menschen kochen auf offenem Feuer, da das Campessen nicht genießbar ist. Eine paar handvoll Dixitoiletten werden von kaum wem benutzt, weil die noch schlimmer als die Felder sind. Diese erreichen sie über unzählige Löcher im Zaun. Sicherheit gibt es absolut keine im Camp. Die Polizei war bei einem Rundgang nirgendwo zu sehen. In der Nacht kommt es deswegen zu Überfällen im Camp und auch andere Dinge wie Drogenkonsum und sexuelle Ausbeutung stehen auf der Tagesordnung. Die restlichen Sanitäranlagen sind ebenfalls in bestialischem Zustand, weswegen sich die Menschen meist im Freien mit Wasser aus Wasserflaschen waschen. Krankheiten sind durch die schlimmen hygienischen Bedingungen natürlich vorprogrammiert und TBC und Affenpocken sind ebenso im Camp zu finden. Strom gibt es keinen in den Zelten, sondern nur ein paar Stromboxen, wo die Menschen ihre Mobiltelefone aufladen.
In um um das Camp gibt es keine NGO und die Menschen sind mit all ihren materiellen Bedürfnissen genauso wie in Bezug auf unabhängige (Rechts-)Beratung. Vor allemfür die Frauen und Kinder im Camp ist die Situation noch eine Stufe unerträglicher.
Im Camp sind sowohl Frontex, die aber sich anscheinend nur um grundlegende Informationen für die Neuankommenden und die Fingerprints kümmern, als auch EASO, Die macht die Interviews, aber seit 7 Monaten gibt es angeblich keine positiven Bescheide mehr und die interne Information ist, dass das zumindest bis Februar 2023, wenn die Präsidentsschaftswahl stattfindet, auch so bleiben soll.
Die genaue Zusammensetzung der Nationalitäten der Geflüchteten kennt niemand. Es gibt keine Statistiken dazu. Informell machen Afrikaner:innen und Pakistanis rund 50 Prozent der Bewohner:innen aus. Danach folgen Syrer:innen, Palästinenser:innen und Afghan:innen.
Jeden Tag dürfen in Zypern nur 50-65 Menschen um Asyl ansuchen. Dafür müssen sie ab ca. 7 Uhr stundenlang bei einem Seiteneingang warten und es gibt kein System für den Einlass der “Glücklichen”. Nur Menschen, die mit Booten ankommen, werden angeblich zurzeit separat behandelt und bevorzugt. Die große Mehrheit kommt per Flugzeug in Nordzypern an und wird von Schmugglern über die Grenze gebracht. Bootsankünfte gibt aber ebenfalls viele, was durch die große Distanz zur Türkei natürlich relativ gefährlich ist. Das letzte mir bekannte Landing war vor drei Tagen.
Wer nicht im Camp registriert ist, bekommt keinerlei Leistungen und die Menschen müssen Tage und Woche auf ihre Registrierung warten. Wenn sie diese haben, müssen sie einige Woche, bis wenige Monate im Camp bleiben, bis sie ein “Release Paper” (wie im Gefängnis) bekommen. Mit diesem können sie dann staatliche Unterstützung von gut 200 Euro bekommen, mit der sie dann auf sich alleine gestellt sind. Meist nehmen sich viele Menschen gemeinsam Substandardwohnung, wobei sie hier von Vermieter:innen natürlich auch ausgenommen werden, da die meisten keine Geflüchteten als Mieter:innen akzeptieren.
Sofern sie das “Release Paper” haben, dürfen sie gewissen Hilfsarbeiter:innen Tätigkeiten, wie Essenslieferungen, im Baugewerbe oder als Putzkräfte nachgehen. Die Bezahlung ist hier natürlich weit unter zypriotischem Niveau. Schwarzarbeit ist natürlich ebenso Standard.
Allgemein bin ich nur schockiert, wie hier Menschen “leben” müssen.
Liebe Grüße, Fayad
Soweit sein Bericht. Dieser Umgang mit Menschen, diese Abschreckungspolitik ist abstoßend, verantwortungslos und brutal.
Die Menschen brauchen jetzt sofort Hilfe. SOFORT.
Es sind Frauen, Kinder, Männer, Minderjährige Alleinreisende dort.
Ich habe sofort mit großen NGOs Kontakt aufgenommen, danke Ärzte ohne Grenzen für das gute, sehr wohltuende Gespräch. Es ist jetzt sofort unser aller, gemeinsame Aufgabe, alles daran zu setzen, dass die Menschen dort Hilfe bekommen. Egal, vor welchen Problemen wir stehen, diese Menschen brauchen jetzt Hilfe.
Wir dürfen diese Höllenplätze in Europa nicht aus unserem Bewusstsein verdrängen. Europa steht vor großen Herausforderungen, doch diese dürfen niemals auf dem Rücken der Geflüchteten ausgetragen werden. Mensch zu bleiben und Menschen zu sehen, so wie sie sind, in ihrer Würde, das ist unser Auftrag.
Wir bitten alle, die diesen unseren Beitrag lesen und Kontakt zu großen Organisationen in Europa haben, sofort zu intervenieren. Die Politik kann und will es nicht tun, wir dürfen diese Menschen nicht alleine lassen. Danke.
Ihr wollt unsere Arbeit für Geflüchtete, die wir in Österreich, Lesbos, usw. tun unterstützen, sehr gerne:
Eure Unterstützung bitte an :
Flüchtlingshilfe/refugee assistance – Doro Blancke
IBAN: AT93 3842 0000 0002 7516
BIC: RZSTAT2G420
Paypal: paypal.me/helfedorohelfen
Kommentare 2
Der Bericht ist erschütternd. Es ist unsagbar beschämend für uns reiche Europäer, dass Geflüchtete unter so unmenschlichen Bedingungen leben müssen nach allem, was sie in ihrer Heimat und auf dem Fluchtweg erleiden mussten.
Author
Ja, es ist erschütternd und menschenunwürdig. Darum kämpfen wir neben all unseren Aktivitäten auch unbeirrt weiter, für menschenwürdige Unterbringung und faire Asylverfahren.
HG, Doro und Team