Neben unserer täglichen Arbeit in Griechenland, speziell auf Lesbos, Lebensmittelverteilungen, Clean Up-Projekt, Rechtsberatungsprojekt, persönliche Begleitung von Geflüchteten, Zusammenarbeit mit anderen NGOs, usw., ist es uns ein dringendes Anliegen über all die Völkerrechts- und massiven Menschenrechtsverletzungen zu sprechen, die an den europäischen Außengrenzen beinahe zum Alltag gehören.
Die visionslose und grausame Abschreckungspolitik der europäischen Gemeinschaft/EU nimmt mittlerweile Dimensionen an, die kaum mehr zu ertragen sind. Auch wenn immer wieder von verschiedenen NGOs und kürzlich auch vom Spiegel über die Gräueltaten berichtet wird, war das bis jetzt nicht Anlass genug, diese Verbrechen gegen Menschen auf der Flucht unverzüglich einzustellen und die Verantwortlichen zur Verantwortung zu ziehen.
Um einen Einblick zu gewähren, in welcher Form diese Pushbacks, die grausamen Verbrechen an Menschen auf der Fluchtnablaufen, hier eine kleine Schilderung.
Die Türkei und ich denke das ist sehr wichtig zu wissen, ist kein sicheres Drittland für Geflüchtete. Etliche Menschen auf der Flucht werden dort verhaftet, leben im Untergrund, werden in Fabriken zu Billigstlöhnen, ohne Versicherung, ausgebeutet. Auch die polizeiliche Gewalt gegen Geflüchtete nimmt massiv zu, erst unlängst wurde ein Kind aus Afghanistan in der Türkei, bei einem Zwischenfall mit Beamten erschossen.
In letzter Zeit schiebt die Türkei unter Erdogan auch wieder nach Kabul/Afghanistan ab. Die letzten Wochen bereits über 1000 Menschen, wie aus Berichten von Beobachter*innen und NGOs, wie zb AMASO/Abdul Ghafoor hervorgeht. Genau aus diesen Gründen machen sich die Menschen in der großen Hoffnung, in einem sicheren Land internationalen Schutz zu erhalten auf den Weg. Sie mussten ihr Zuhause, ihre Heimat wegen Terror, Krieg, Klimakatastrophen, oder persönlicher Verfolgung, sexueller Ausbeutung, usw. verlassen. Sie sind verzweifelt auf der Suche nach einem sicheren Ort.
Meist in der Nacht starten kleinere Gruppen von Geflüchteten, 30 bis 40 Menschen, in zum Großteil desolaten Boot und versuchen die so nah erscheinenden griechischen Inseln zu erreichen. Etliche von ihnen werden bereits am Meer von der griechischen Küstenwache, Hellenic Coast Guard, abgefangen. Die Boote werden umkreist, große Wasserbewegungen durch die Schiffe der Küstenwache ausgelöst, die Menschen weinen und schreien, bangen um ihr Leben. So werden sie zurückgedrängt in die türkischen Gewässer, dann wird die türkische Küstenwache informiert um die Leute abzuholen. Nicht selten wandern die Geflüchteten dann in türkische Gefängnisse. Sexuelle Übergriffe, Folter, und andere Grausamkeiten sind dabei keine Seltenheit.
All jene, die die Insel erreichen verstecken sich sofort nach ihrer Ankunft im unwegsamen Gelände, klettern mit ihren Kindern an den zT. gefährliche Wegen an den Steilküsten hoch, um sich dann in unwegsamen Gelände, in praller Hitze vor den Behörden zu verstecken. Die Angst, gefunden zu werden und in die Türkei zurück gebracht zu werden ist groß. Eine unvorstellbare psychische und physische Belastung für die Menschen. Dies führt, wie vor 2 Tagen auf Chios passiert, zu unfassbar traurigen Ereignissen. Eine Frau auf der Flucht ist auf der Insel in unwegsamen Gebiet verstorben. Kein Wasser, keine Lebensmittel, die enorme psychische Belastung und medizinische Probleme ließen sie ins Koma fallen, später wurde sie tot aufgefunden.
Wenn europäische Innenminister*innen und Politiker*innen jetzt beinahe täglich über Schlepper sprechen und sie für das Unglück von Menschen auf der Flucht verantwortlichen machen, dann muss man aussprechen, dass europäischer Grenzschutz tötet. Wir sind es, die dies zu verantworten haben. Es gibt keine legalen Fluchtwege, kein Botschaftsasyl, keine Resettlement Programme, usw.. Die Europäische Union ist es, die diese Todespolitik vorantreibt.
Menschenjagd, legitimiert durch die europäischen Behörden.
Denn wenn die Behörden auf Lesbos und allen anderen griechischen Inseln davon erfahren, dass es Neuankömmlinge gibt, werden Suchtrupps ausgesandt. Beamte in Sturmhauben, bewaffnet, unterwegs in Autos ohne Kennzeichen, deren Perversion bereits so weit gewachsen ist, dass sie jedes Empfinden für Recht und Unrecht verloren haben.
Diese suchen dann in den unwegsamen Gegenden nach den Geflüchteten. Ich möchte hier erwähnen, dass die Menschen, sobald sie einen Fuss auf europäischen Boden gesetzt haben, internationalem Recht entsprechend Anspruch darauf haben, offiziell einen Asylantrag zu stellen. Dieses und viele andere Rechte der Menschen auf der Flucht werden an den Außengrenzen, im speziellen auch in Griechenland vollkommen ignoriert, mit Füßen getreten.
Werden die Schutzsuchenden dann von diesen “Schlägertrupps” gefunden, werden sie in Busse/Vans verfrachtet. Man sagt ihnen auch des öfteren, man bringe sie jetzt zu einer Registrierungsstelle. Dies entspricht nicht im Geringsten der Wahrheit, denn man transportiert sie an geheime Orte, an denen Container stehen, in die man die Menschen dann einsperrt. Familien, Frauen, Männer, Kinder, Alleinreisende. Ohne Wasser, ohne Lebensmittel, auch ohne Toiletten. Dort müssen sich die Menschen sehr oft entkleiden, egal ob Mann, oder Frau. Sie werden all ihrer persönlichen Sachen beraubt, Schmuck, Geld, Mobiltelefone, Dokumente, usw.. Auch sexuelle Übergriffe und Körperverletzungen durch Prügel finden sehr oft statt. Ab und zu geht in einem Kinderschuh ein Telefon vergessen, so ist es auch möglich, dass es Videoaufnahmen von den unrechtmäßigen Zurückschleppungen, Pushbacks gibt. Würden man nach europäischem Recht diese Verbrechen benennen, würden wir von Kidnapping, Raub, sexuellen Übergriffen, Missbrauch, schwerer Körperverletzung, usw. sprechen. Dies alles widerfährt den Menschen, die von den griechischen Behörden gefunden und nachts einem Pushback, einer illegalen Rückführung in die Türkei ausgesetzt sind.
In der Morgendämmerung, oder auch in hellen Nächten werden die Geflüchteten dann aus den Containern geholt und auf sogenannte Rettungsinseln verfrachtet. Kleine Plastikkörbe, die auch nur einmal benutzt werden können. Für manche Gruppen braucht es 2-3 solcher schwimmenden Inseln. Wer sich weigert wird auch dabei wieder misshandelt. Schulter- und Nasenbrüche sind keine Seltenheit. Auf diesen Plastikinseln werden die Geflüchteten dann aufs offene Meer geschleppt und an der türkischen Grenze, auf offener See alleine zurück gelassen. Die türkische Küstenwache wird informiert, sie sollen sie dort abholen. Auch hier oft eine lange Zeit der panischen Angst. Auf offenem Meer, Seegang, Dämmerung, keinen Motor, dahintreibend. Wir kennen Videos auf denen zu sehen ist, wie Kinder und Erwachsene weinen und völlig verängstigt zT. auch in Panik ausbrechen. Beobachtet aus der Entfernung von den Beamten der griechischen Küstenwache. Wie abgebrüht und verroht muss man sein, um solche Anweisungen täglich umzusetzen.
Wie viele Menschen werden widerrechtlich zurück gepusht und misshandelt?
Das fragen wir uns, wenn wir unten stehende Bilder sehen. Aufgenommen an einem mehrere Kilometer langen Küstenabschnitt, im Norden von Lesbos. Hier findet man über Windeln, Schwimmflügel von Kindern, Kleidung, ganze Rucksäcke, Kinderschuhen, Jacken, bis hin zu Motoren, kaputten Booten, einfach alles was auf die Landung von Menschen auf der Flucht hinweist. Wir kennen aber auch die Zahlen der Neuzugänge in den Camps. Warum forscht die Europäische Kommission, die Kommissarin für Menschenrechte der EU nicht nach, wieviele Menschen auf der Flucht von der türkischen Küstenwache nach einem Pushback aufgegriffen und zurück gebracht werden? Die Bilder, die hier in einer Deutlichkeit zeigen welche Verbrechen sich hier an Lesbos Küste, über die Europa nicht sprechen will, abspielen.
Wenn NGOs auf Lesbos die Meldung von Neuankömmlingen erhalten, gibt es einige wenige, die versuchen sie zu finden um sofort den offiziellen Prozess der Registrierung einzuleiten. Dies ist auch für die Human Right Workers, jene, die diese Verbrechen einfach nicht akzeptieren, nicht ertragen können, nicht ungefährlich. Die griechischen Behörden versuchen jene dann zu kriminalisieren, in der Behandlung zu entwürdigen, ihnen sogar Schlepperei vorzuhalten und sie diesbezüglich anzuklagen. Es kommen wie auf Chios Menschen vor Gericht, weil sie Neugelandeten bei 36 Grad im Schatten Wasser und Verpflegung bringen. Es wurden auch Leute des Landes verwiesen, haben wegen Hilfe für Geflüchtete auf der Insel eine Anklage bekommen, ihnen drohen zum Teil Strafen bis zu 20 Jahren.
Im Namen Europas
Europa schaut genau hin und trotz schöner Worte einzelner Politiker*innen und Androhungen von Verfahren gegen Griechenland, sieht man doch bewusst hin und ist “dankbar”, dass man sich nicht weiter mit dem Thema auseinandersetzen muss, das Griechenland die schmutzige und unrechte Arbeit “erledigt”. Die Innenminister*innen der einzelnen Mitgliedstaaten sind sich beinahe einig: “Wir brauchen noch robusteren Außengrenzschutz”. Koste es was es wolle sagt man nicht dazu, man bewilligt diese Verbrechen durch Bekräftigung, Schweigen, oder aber auch durch Finanzierungen in Millionenhöhe. Der letzte Fall einer Landung, bei dem Kolleg*innen sich sofort nach den Geflüchteten auf die Suche gemacht haben, fanden sie nichts mehr vor, nur mehr hinterlassene Dinge wie eine Creme für Kinder, mit türkischer Beschriftung. Voller Trauer und Ohnmacht kehren jene Kolleg*innen dann in ihre Wohnungen zurück, mit dem Bewusstsein, dass die Geflüchteten irgendwo, eingesperrt in einem Container, gedemütigt, misshandelt, all ihrer Rechte beraubt auf den Pushback warten.
Wir fordern die Europäische Kommission, die Kommissarin für Menschenrechte und die Mitglieder des Europäischen Parlaments auf, diese Verbrechen, mit denen sie auf Europa eine schwere Schuld laden, sofort zu stoppen. Wir fordern alle politisch Verantwortlichen in Europa auf ihre Verpflichtungen, die sie mit ihrem Amt angenommen haben wahrzunehmen. Im Sinne der Verfassung und des Rechts zu agieren. Wir fordern auch die European Task Force Migration, unter Leitung von Dr. Beate Gminder auf, diese Verbrechen endlich zur Sprache zu bringen und dafür zu sorgen, dass sie sofort unterbunden werden. Es ist eine Mitarbeiterin vor Ort, es kann nicht sein, dass diese grausamen und allseits bekannten Praktiken an ihr vorbeigehen.
Was an den europäischen Außengrenzen passiert, die Verbrechen, die hier in unser aller Namen verübt werden, sind mit nichts zu rechtfertigen und gehören sofort beendet. Wir bitten auch alle unsere Kolleg*innen aus der NGO Szene und die Zivilgesellschaft darüber zu sprechen, eine sofortige Änderung zu fordern und keinen Augenblick lang diese Verrohung zu akzeptieren. Verbrechen dieser Art dürfen niemals eine Lösung für Fluchtbewegungen sein. Wer immer das anordnet, ausführt, oder aber stillschweigend akzeptiert macht sich mitschuldig und muss zur Verantwortung gezogen werden.
Wer unsere Arbeit in Österreich und in Griechenland für Menschen auf der Flucht unterstützen möchte, wird, dem danken wir sehr herzlich.
Flüchtlingshilfe/refugee assistance-doro blancke AT93 3842 0000 0002 7516