Kinder auf der Flucht

Eure Kinder

Eure Kinder sind nicht eure Kinder.

Sie sind die Söhne und die Töchter der Sehnsucht

des Lebens nach sich selber.

Sie kommen durch euch, aber nicht von euch,

Und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht.

Ihr dürft ihnen eure Liebe geben,

aber nicht eure Gedanken,

Denn sie haben ihre eigenen Gedanken.

Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben,

aber nicht ihren Seelen,

Denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen,

das ihr nicht besuchen könnt,

nicht einmal in euren Träumen.

Ihr dürft euch bemühen, wie sie zu sein,

aber versucht nicht, sie euch ähnlich zu machen.

Denn das Leben läuft nicht rückwärts

noch verweilt es im Gestern.

Ihr seid die Bogen, von denen eure Kinder

als lebende Pfeile ausgeschickt werden.

Der Schütze sieht das Ziel auf dem Pfad der Unendlichkeit,

und er spannt euch mit seiner Macht,

damit seine Pfeile schnell und weit fliegen.

Laßt eure Bogen von der Hand des Schützen auf Freude gerichtet sein;

Denn so wie er den Pfeil liebt, der fliegt, so liebt er auch den Bogen, der fest ist.

Khalil Gibran
(* 1883-01-06, † 1931-04-10)

Wenn ich im Camp, auf der Straße, oder im sozialen Zentrum „Parea“, in dem wir stationiert sind, die vielen Kinder sehe, dann fällt mir des Öfteren dieses Gedicht ein.

„….Denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen, das ihr nicht besuchen könnt, nicht mal in euren Träumen…“

Und in diesem Sinne möchte ich Fürsprache halten bei Euch, für alle Kinder auf der Flucht.

Es sind unser aller Kinder, denn sie sind unser aller Zukunft.

Und so wie wir ihre Gegenwart im Jetzt gestalten, so werden sie in die Zukunft gehen und unser aller Zukunft gestalten.

„Was können wir tun?“, fragen mich wirklich viele Menschen. 

Es ist simpel und schwierig zugleich. 

Es sind unser aller Kinder und so wie wir ihre Gegenwart gestalten….

Die Möglichkeit gestalten zu können, wenn wir es wirklich wollen,  können wir Zukunft gestalten, das wäre das Geschenk. 

Unser aller Kinder werden es sein, die jetzt von uns lernen und uns erinnern werden, an all das was wir im Heute getan haben. 

Unser aller Kinder werden der Spiegel unserer vergangenen und heutigen Taten und Visionen sein.

Wenn die Kinder auf Lesbos uns begegnen, dann sind sie trotz all ihrer Belastungen, trotz aller Verluste, fast immer noch offen für die Suche nach dem Leben. Sehen wir und stützen wir sie dabei, bevor sie in der  Dunkelheit unseres Handelns verblasst. 

Wenn Politiker:innen jetzt schamlos und ungeniert über „GEAS – Gemeinsames Europäisches Asylsystem“ sprechen, damit auch meinen, Kinder und Jugendliche in Haft nehmen zu können, da sie vermeintlich kein Recht hätten, in Europa zu sein, dann denken wir daran – unser aller Kinder werden später unser aller Zukunft gestalten. 

Und erst dann sollten wir entscheiden, ob wir diesem unverantwortlichen, vergifteten Gesäusel von politisch Verantwortlichen zustimmen. 

Ich bin immer noch fähig Zuversicht zu spüren. 

Warum?

Weil ich so viele Kinder und Jugendliche auf der Flucht kennen lernen durfte.

Zahra, Amir, Hojat, Sanas, uvm. 

Sie alle haben mir gezeigt was in ihnen, trotz all der Verluste, des Kummers, immer noch lebendig ist.

Wenn Sanas mit mir gespielt und gelacht hat, war das wie ein Bad in der Sonne auf einer blühenden Wiese. 

Ihre Suche, verwoben mit ihrer Zuversicht nach einem Leben in Frieden, mit der Möglichkeit zu lernen, sich zu entfalten und Wege zu entdecken, war so unglaublich ansteckend.

Enttäuschen wir sie und uns selbst nicht, denn die Zukunft hat bereits gestern begonnen. 

In diesem Sinne einen nachdenklichen Adventstag. 

Gerne teile ich mit Euch meine jahrelangen Erlebnisse auf Lesbos, in der Hoffnung, dass sie etwas bei Euch hinterlassen, was uns im gewissen Sinne irgendwie verbindet – uns zu Verbündeten in der Liebe zu Menschen und somit auch zu uns selbst werden lässt. 

Weihnachten, das Fest der Liebe, die stille Zeit, vielleicht geschehen noch Wunder

Doro 

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