Erster Tag in Athen

Athen, 14.06.2021

Heute Morgen sind Fayad, Luna und ich in Athen angekommen. Nachdem wir unsere Wohnung, die Fayad für uns herausgesucht hat, bezogen haben machen wir uns auf den Weg zum Victoria Platz gemacht. Dort angekommen treffen wir Ahmad, den wir bereits im Zuge unserer Arbeit auf Lesbos kennen lernten, wo er als Volunteer im Camp großartige Arbeit geleistet hat. Morgen wird er nach Deutschland fliegen, hat uns aber für die Zeit in Athen, seinen Freund Sadeq vorgestellt, der uns als Dolmetscher unterstützen kann.

Für uns ist es anfänglich immer schwierig festzustellen nach welchen Kriterien wir die Leute unterstützen können. Dies bedarf guter Recherchen, persönlichen Kontakt mit Schutzsuchenden und NGOs und ein abwägen, wo die Nöte am Größten und die Hilfe am effizientesten ist.  Für die wenigen Tage die wir jetzt in Athen sind, haben wir uns dazu entschlossen allein reisende Frauen mit und ohne Kindern zu unterstützen. Heute haben wir bereits einige getroffen und Gespräche geführt, anfangs mit Ahmeds Unterstützung und später mit der Hilfe von Sadeq. Beide haben wunderbar einfühlsame Arbeit geleistet – es ist gar nicht so leicht, dass die alleinstehenden Frauen einen jungen Mann akzeptieren, was hier sehr gut gelungen ist.  Als ersten Schritt haben wir eine WhatsApp-Gruppe zur besseren Kommunikation eröffnet und in den kommenden Tagen werden wir sie mit Essenspaketen unterstützen. Die Not dieser Frauen ist besonders groß, sehr berührende und schmerzliche Geschichten stehen hinter ihrem Alleinsein hier.

In der Zwischenzeit war Fayad unterwegs um eine Küchen-NGO zu besichtigen, die warmes Essen ausgibt, Luna hat Fotos gemacht, weil uns auch die Dokumentation der Situation vor Ort ein Anliegen ist. Nachdem Fayad zurückgekommen ist hat er auch hier sein Fotoprojekt fortgesetzt, indem er Kinder fotografiert hat und ihnen die Fotos sofort auf seinem mobilen Fotodrucker ausdrucken konnte. Die Kinder sind immer sehr glücklich darüber, ein Bild von sich selbst in der Hand halten zu können. Es sind jene Momente, die nicht nur Kindern ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Dankbar beobachte ich aus der Entfernung diese Szenen. Die Menschen fühlen sich wahrgenommen, gesehen, sie empfinden dies als einen wärmenden Moment. 

Ich bin zutiefst erschüttert von den Geschichten, die die Menschen hier erzählen. Obwohl wir die Fakten kennen, ist es jedes Mal aufs Neue schockierend, wenn die Leute ihre eigenen,  persönlichen Geschichten erzählen. 
Da ist zum Beispiel eine Frau, im Alter von 50 Jahren, die auf der Flucht ihren Mann und ihre zwei Kinder verloren hat. Jetzt ist sie alleine hier in Athen, total verzweifelt, weil sie nicht weiß wo ihre Familie ist.
Oder die vielen Familien, die in einem der Camps wohnen, bereits einen positiven Asylbescheid haben und jetzt keinerlei Unterstützung mehr bekommen. Sie fragen nach medizinischer Versorgung. Die Ärzte im Spital stellen zwar Rezepte aus, doch die sind im Alltag viel zu teuer um sie zu bezahlen. Oder Schulen für ihre Kinder, Kinder jahrelang ohne Bildung zu lassen ist eine Form von Menschenrechtsbruch, den wir keinesfalls akzeptieren dürfen. 
Auch viele allein reisende junge Männer, die versuchen uns zu erklären, warum es für sie besonders schwierig ist, dass sie gerne die Sprache lernen möchten, um sich mit den Menschen hier unterhalten zu können, eine Arbeit finden wollen. Aber sie wissen selbst, dass das für sie hier kaum möglich ist.

Ich habe auch einen jungen Mann getroffen, der obdachlos ist, nicht mehr im Camp wohnen darf. Er hat sich ins Camp zu seinem Freund geschlichen, der dort noch in einem Zelt wohnt. Dabei wurde er von der Polizei aufgegriffen und musste eine Woche ins Gefängnis gehen, bis sich herausgestellt hat, dass er bereits als Schutzberechtigter registriert ist. Nun ist er wieder auf freiem Fuß und konnte mir so über die Zeit im Gefängnis berichten. Seine Erzählungen waren extrem erschütternd: Sie waren zu sechst in einer kleinen Zelle, es gibt keine Betten, die Menschen schlafen am Fußboden. Der junge Mann hatte das Glück, dass ihm ein Freund einen Schlafsack vorbeigebracht hat. Viele der Dinge, die er mir erzählt hat möchte ich hier eigentlich gar nicht wiederholen, weil sie so traurig sind. Jedenfalls sind die jungen Männer im Gefängnis sehr gefährdet. Das einzig Positive, das der junge Mann dort erlebt hat, weil er als Asylberechtigter keine finanzielle Unterstützung mehr bekommt war,dass er dreimal täglich zu essen bekommen hat. Nach der Woche im Gefängnis, nachdem die Meldung aus Lesbos über seinen Status angekommen ist, ist er nun wieder auf der Straße und weiß nicht, was er tun soll. Er spricht sehr gutes Englisch, er ist ein sehr freundlicher junger Mann, der nichts weiter sucht als sein selbständiges Leben. Arbeit, Wohnen, Essen, Freund*innen. 

Jetzt bin ich wieder zuhause, und bin so traurig und gleichzeitig so wütend, weil ich nicht verstehe, dass man Menschen so darben, so in der Verzweiflung, in der Not lässt. Und wieder einmal stellt sich neben der ganzen Menschenrechtsfrage auch die große Frage: Wo ist das ganze Geld, das Griechenland bekommen hat und bekommt, um Menschen auf der Flucht, Schutzberechtigte, gut unterzubringen?

Dass unsere Bundesregierung jetzt auf “best finds” mit Griechenland macht und der Bundeskanzler bei jeder kleinen Bewegung der Griechen seine Bekräftigung dazu in den sozialen Medien abgibt, nur um seinen und den der populistischen Politiker*innen, Machterhalt zu sichern empört mich zutiefst.

Dies alles, all dieses Unrecht, dieser Menschenrechtsbruch hier passiert auf dem Rücken von Menschen. Menschen, die nichts weiter getan haben als aus einer unerträglichen Situation, sei es Krieg, Hunger, Terrorismus, Klimafolgen, usw. zu fliehen um woanders Schutz zu finden.

Kommentare 1

  1. Liebe Doro! Als kleine europäische Bürgerin kann ich dir und deinen MitstreiterInnen für Menschlichkeit nicht genug danken. 👏❤️ Ich selbst hab einfach nur Glück gehabt, dass der Storch mich in Tirol fallen gelassen hat. Und dass zwischen Tirol und Wien (460km ostwärts), seit 52 Jahren meine Heimat, keine Grenze war, die jemand unbedingt schließen wollte wie zB. die Balkanroute. Alles Gute. Monika

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