Der Ausdruck “Pushback” ist das Unwort des Jahres 2021. Reden wir über die Opfer dieser Verbrechen.

Der Begriff “Pushback” ist zum Unwort des Jahres 2021 gekürt worden und zu recht: “Es beschönigt den Prozess der Illegalen Abschiebung, die Menschen die Möglichkeit nimmt ihr Grundrecht auf Asyl wahrzunehmen” begründete die Jury das. (Tagesschau/D)

Wichtig ist uns festzuhalten, dass es eine massive Beschönigung von grausamen Verbrechen an Menschen ist, diese werden ausgeführt von Beamten, angewiesen durch Politik. Das sollten wir niemals vergessen – “NiemalsVergessen”

Um Euch einen besseren Einblick in diese Abscheulichkeiten, diese extremen und willkürlichen Rechtsbrüche/Verbrechen zu geben, will ich beschreiben, wie so eine illegale Abschiebung, ein Pushback, hier in Griechenland abläuft. Pushbacks beinhalten viel mehr als eine illegale Außerlandesbringung. Sie beinhalten Kidnapping, Raub, psychische und physische Folter. Und es gibt kaum jemanden im RIC Camp auf Lesbos, der diese grausame Erfahrung nicht mindestens einmal hinter sich hat.

Sobald die Menschen auf der Flucht die Insel Lesbos erreicht haben, beginnt sofort die Menschenjagd. Vermummte Beamten der Behörden fahren in der Nähe der Landestellen herum und suchen nach den Neuankömmlingen. Beherzte Zivilgesellschaft, die den Geflüchteten helfen will, sie sucht und dabei den Beamten in die Quere kommt, werden augenblicklich auf die Polizeistation mitgenommen – es werden ihnen viele Unannehmlichkeiten gemacht, einigen von ihnen auch Schlepperei und Spionage unterstellt, was mit einem Gerichtsverfahren endet. Es wurden dabei auch schon Leute des Landes verwiesen.

Vermummt, Kabelbinder an ihren Gürteln um den Leuten die Hände und Beine zu binden, oft auch bewaffnet – so sind sie unterwegs, die Menschenjäger. Alle arbeiten zusammen, Hellenic Coast Guard, Hafen- und Ortspolizei. Werden die Menschen gefunden werden sie gekidnappt, mit VANs verschleppt, in Containern festgehalten. Sie werden all ihrer Habseligkeiten beraubt, Geld, Dokumente, Mobiltelefone, alles wird ihnen abgenommen und “verschwindet”. Dann werden sie an einen abgelegenen Küstenort gebracht, von wo aus man sie mit Booten zu den Hellenic Coast Guard Schiffen bringt. Mit diesen fährt man die Schutzsuchenden aufs offene Meer, Richtung Seegrenze Türkei. Dort werden sie in ein Rettungsboot gesetzt, ohne Motor und Richtung türkisches Gewässer gezogen. Die Angstschreie der Geflüchteten hört man oft bis an die Küste. Dann wird die türkische Küstenwache informiert und angehalten, die Geflüchteten am Meer abzuholen. Deren Einschreiten und die Rückführung auf das türkische Festland kann man auf der Homepage der türkischen Küstenwache genau nachvollziehen. https://en.sg.gov.tr/pushback-news Man kann in diesen sehr konkreten Videos sehen, dass es sich keineswegs nur um Männer handelt. Europa nimmt keine Rücksicht. Egal ob Frauen, Kinder, oder Männer, alle erleiden das selbe Schicksal. An allen verbricht man das.

Und jetzt zu einem praktischen Fall:

MUTTER WIRD VON IHREN KINDERN GETRENNT. IHRER KINDER, 7 UND 13 JAHRE ALT BERAUBT, KINDER BLEIBEN AUF LESBOS, DIE MUTTER WIRD IN DIE TÜRKEI GEPUSHT.

Dieser Fall liegt im Moment bei mir bekannten Jurist:innen auf. Sie kämpfen für die Mutter und die Kinder um eine Familienzusammenführung. Die Kinder sind nach diesem furchtbaren Verbrechen eines Kindesraubes in Griechenland als unbegleitet Kinder registriert. Es kann Wochen, um nicht zu sagen Monate dauern, bis die Familie wieder vereint ist.

Nach dramatischen Stunden an der türkischen Küste und auf dem Boot bei schlechtem Wetter, am offenen Meer, erreicht die Mutter mit ihren beiden Kindern endlich Lesbos. Was sie nicht weiß ist, dass sobald sie die Insel mit ihren beiden Kindern betritt, sofort die Menschenjagd nach ihr, den Kindern und den anderen Asylsuchenden, beginnt. Völlig erschöpft lässt sie sich am Morgen jenes verhängnisvollen Tages mit ihren beiden Kindern unter einem Strauch nieder und überlegt, wie es jetzt weitergeht. Wie sie in das Camp, RIC Camp Mavrovouni, in der Nähe von Mytelini kommen soll. Die Kinder sind viel zu erschöpft, um noch weit gehen zu können. Sie sind auch extrem gefordert, weil sie zusätzlich zu dieser Strapaz, all ihren Ängsten, der Überfahrt im Morgengrauen auf dem stürmischen Meer, auch die Anspannung und die Angst der Mutter spüren. Die Mutter hat viel hinter sich, wie viele Frauen auf der Flucht. Misshandlungen, sexuelle Belästigungen, all diese traumatischen Ereignisse sind der Alltag von Frauen auf der Flucht.

Jetzt ist sie hier gelandet auf Lesbos, im gewissen Sinne auch erleichtert, sie meint es geschafft zu haben.

Doch wie aus dem Nichts tauchen plötzlich all diese vermummten Männer auf. Sie weiß nicht, dass es griechische Beamte sind, die bereits von Hellenic Coast Guard, Frontex und Polizei über die Landung und den ungefähren Landeplatz informiert wurden. Sie hat keine Ahnung davon, dass ihr einziger Zweck jener ist, sie zu jagen – die Geflüchteten, die Neuankömmlinge.

Die schwarz gekleideten, vermummten Männer schreien wie wild, schlagen auf Personen der Gruppe ein. Trennen die Menschen willkürlich in 2 Gruppen. Sie entreissen den Kindern die Mutter und bringen die vollkommen verzweifelte Frau zu der Gruppe mit dem wesentlich größeren Anteil an Menschen. Alle schreien, weinen, es herrscht Chaos, extreme Angst liegt in der Luft. Die Mutter versteht kein Wort, da die vermummten Beamten nur in Griechisch herum brüllen und niemand der Neuankömmlinge diese Sprache versteht. Wie auch?

Mehrer Male versucht die Mutter auf die Seite ihrer Kinder zu wechseln, die mit einigen anderen Minderjährigen gegenüber stehen. Brutal wird sie zum Schweigen und zum Stillhalten gebracht. Man verfrachtet sie, gemeinsam mit den anderen Erwachsenen und einigen Familien in 2 VANs, diese werden von außen abgesperrt. Sie schreit verzweifelt um ihre Kinder, doch die Beamten schenken dem keine Beachtung. Verroht, gedrillt auf Grausamkeiten, folgen sie all diesen verbrecherischen Befehlen.

Die Kinder sitzen am Boden und weinen bitterlich, sie sind wie gelähmt vor Angst. Sie können nicht begreifen was hier gerade passiert. Ein Beamter, natürlich vermummt, nimmt sie und bringt sie zu einem anderen Fahrzeug. Dort werden sie von Polizisten empfangen, die die Kinder und ich möchte betonen, die geraubten Kinder, in eine Unterkunft für “unbegleitet Kinder und Minderjährige” bringen. Bis heute sitzen sie dort. Zutiefst traumatisiert, verletzt, vollkommen auf sich alleine gestellt, denn die Unterkünfte in Griechenland für unbegleitet Minderjährige sind eine Katastrophe, tlw. ein abgeschlossener, umzäunter Bereich im Camp selbst, viele zu wenig Sozialarbeiter:innen, Psycholog:innen, es erinnert eher an ein schlechtes Gefängnis als an das, was Kinderseelen brauchen würden. Auch das ist Europa.

Die Mutter wird in der Zwischenzeit, so wie alle anderen auch, in einem Container all ihrer Sachen beraubt, Geld, Handy, Schmuck, usw. Brutal und unter Schlägen und Stößen wird sie auf ein Helllenic Coast Guard Boot gebracht, gezwungen. Mit diesem fährt man die Schutzsuchenden zurück aufs offene Meer, um sich dort den Menschen zu “entledigen”. Man setzt sie auf “Rettungsinseln”, auch das sollte ein Unwort des Jahres werden, denn es hat weder einen Motor, noch irgendetwas zum Steuern. Völlig apathisch folgt die Frau den Anweisungen, sie ist außer Stande sich irgendwie zu äußern. Sie hat alles was ihr wichtig war verloren.

Man hat ihr ihre Kinder geraubt!

Wieviel Kraft eine Mutter in so einer Situation aufbringen kann, sieht man am weitern Verlauf der Geschichte. Die Frau probiert immer wieder die Überfahrt, bis sie eines Tages Lesbos erreicht und statt von den Behörden, von Mitarbeiter:innen einer NGO gefunden wird. Sie wird registriert, kommt ins Camp. Verzweifelt sucht sie dort nach ihren Kindern, denkt, vielleicht sind sie da. Doch keine Spur von ihnen.

So wendet sie sich an eine Gruppe von griechischen Asylanwält:innen, die sich sofort bereit erklären, sie im Rahmen eines Rechsberatungs-Projekts bei der Suche nach ihren Kindern und der Familienzusammenführung zu unterstützen. Wie zynisch! Sie muss eine Familienzusammenführung beantragen, kein Beamter will darüber sprechen, dass ihr die Kinder geraubt wurden.

Die Anwält:innen finden die Kinder, leiten sofort alle nötigen Verfahren ein. Die Frau war ca. noch 3 Wochen nach diesem an ihr begangen Verbrechen in der Türkei. Jetzt ist sie bereits mehrer Wochen im RIC Camp und immer noch ohne ihre Kinder. Ich hoffe zutiefst, sehr bald von den Anwält:innen über eine Zusammenführung der Mutter mit ihren Kindern zu hören.

Auch wenn es beinahe unerträglich ist diese Geschichte zu lesen, geschweige denn sie sich vorzustellen. Ich bitte Euch von Herzen sie weiterzuleiten, davon zu erzählen, als Multiplikator:innen und auch Zeitzeug:innen zu fungieren. Denn auch wenn es unglaublich klingt und wir es kaum für möglich halten, dass solche Verbrechen in Europa passieren, genau das ist es was bei “robustem Außengrenzschutz”, bei Pushbacks an Menschen verbrochen wird. Und ich bin zutiefst traurig Euch mitteilen zu müssen – dies ist bei weitem kein Einzelfall!

Ich habe im Zuge meiner Recherchen, meiner Arbeit, mit vielen Betroffenen persönlich gesprochen. Ich bin in regem Austausch mit griechischen Anwalt:innen und ich spreche auch mit Griech:innen, die solche Verbrechen bereits beobachtet haben, aber große Angst haben einzuschreiten. Menschen, die in so einer Situation gegen die Polizei vorgehen, den Geflüchteten helfen wollen, werden sofort mit auf die Polizeistation genommen, mit einer Klage, im schlimmsten Fall auch mit Gefängnis belegt.

Auch wenn es viele andere Herausforderungen gibt bitte ich Euch von Herzen, liebe Leser:innen, nicht mehr zu schweigen. Diese Verbrechen klar zu benennen, sie weiterzuerzählen und von den politisch Verantwortlichen sofort andere Lösungen zu fordern. Wir dürfen Europa und uns nicht so verraten, nicht auf diesen furchtbaren Verbrechen weiter aufbauen.

Herzlichen Dank dafür, auch im Namen der Betroffenen, denen hier an den europäischen Außengrenzen, im Namen Europas unsägliches Leid zugefügt wird.

Mit der Bitte um Solidarität, Doro

Sie wollen unsere wichtige Arbeit #HilfeVorOrt, mit vielen wunderbaren Projekten und unsere politisch aktivistische Arbeit unterstützen. Sie wollen, dass wir weiterhin für Geflüchtete an den Außengrenzen arbeiten können und weiterhin als Zeitzeug:innen unsere Berichte liefern, dann bitte wir Sie sehr herzlich um Unterstützung. Optimal wäre ein kleiner, monatlicher Dauerauftrag. Gemeinsam können wir so vieles zum Besseren bewegen. Herzlichen Dank!

Verein Doro Blancke – Flüchtlingshilfe/refugee assistance

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