Brand in Moria – heute Nacht vor 2 Jahren – Rückblick

In der Nacht von 8. auf 9. September 2020 brannte das Lager Moria, genannt: die Schande Europas, auf Lesbos ab. 2 Jahre sind seit diesem Tag vergangen. Mein ganzes Leben lang werde ich das Szenario tagelang nach dem Brand nicht vergessen. 1000ende von Geflüchteten in den Olivenhainen, an den Straßen rund um das abgebrannte Camp, die meisten Menschen hatten alles verloren, viele auch alle ihre Dokumente. Es hatte 29 Grad, es gab keine Toiletten, kaum Wasser, kaum Essen. Noch heute kann ich es kaum ertragen daran zurück zu denken. Mütter mit ihren Kindern, Schwangere, Minderjährige, alle ausgesetzt dieser Hitze, niemand informierte wie es weitergeht, Angst, Depression, Hilflosigkeit. Dass Europa so etwas zuließ konnten meine Freundin Helga Longin und ich einfach nicht glauben. Es schien wie eine vergessene Welt, ein Elend, wie wir es aus Europa nicht kannten. Viele Traumata wurden hier verursacht, neu getriggerd, die Verzweiflung der Menschen und die Grausamkeit Europas hatten einen Namen, Moria.

Trotz unzähligen Protesten von großen und kleinen NGOs aus ganz Europa, unzähligen Beschwerden, Hinweisen auf die menschenverachtende Unterbringung im Lager Moria, kam es zu dieser Brandkatastrophe. Viele Expert*innen hatten davor gewarnt. Die dramatische Situation, die Verzweiflung in die man all die Geflüchteten an diesem Ort trieb, die Eskalation war vorprogrammiert. Zu glauben, die Lage für Geflüchtete hätte sich seit dem verbessert ist ein Trugschluss. Die Probleme haben sich verlagert, sind andere geworden. Doch die Demütigung, die Verachtung von/gegenüber Geflüchteten ist geblieben, zum Teil noch schlimmer geworden.

In nur wenigen Wochen wurde damals das RIC Camp Mavorouni, auf ehemaligem Militärgelände auf Lesbos aus dem Boden gestampft. Nichts war fertig, als man die Geflüchteten, zum Teil unter Einsatz von Tränengas dazu zwang, das Camp zu beziehen. Es fehlten bis zum Frühling des darauffolgenden Jahres Duschen, bis heute funktioniert ein Teil der Stromversorgung im Camp immer noch nicht durchgehend. Die wenigen NGOs, die noch im Camp verblieben sind schweigen dazu, um den Eintritt nicht zu verlieren. Äußerungen gegen diese Politik, gegen die politisch Verantwortlichen werden oft mit Willkür und Ausschluss bestraft. Während der ersten Coronaphase wurde den Geflüchteten oft der Ausgang verwehrt. Die Geflüchteten wurden eingesperrt und wie Gefangene behandelt. Das Schema der “Abschreckungspolitik” zog und zieht sich bis ins letzte Detail durch. Abschrecken und totschweigen, beides gelingt.

Heute sind Lesbos, Chios, Samos kaum noch Thema in den Medien. Massive Menschenrechtsverbrechen wie Pushbacks, die rechtliche Möglichkeit bei Betreten des Landes einen Asylantrag zu stellen, menschenwürdige Unterbringung und medizinische Versorgung, alles Themen, die in der Praxis ausgeübt, bzw. verweigert werden. Der Brand von Moria, der ganz Europa dazu veranlasst hat zu sagen: “Nie mehr wieder Moria”, hat weder das gewünschte Umdenken, noch eine wahre Verbesserung für die Geflüchteten gebracht. Im Gegenteil. Erschwerend kommt dazu, dass der aggressive Angriffskrieg Putins auf die Ukraine das Thema um Krieg und Flucht dominiert und alles andere, betrifft es uns ja nicht so unmittelbar in den Hintergrund gerät. Hier entstehen Räume in denen einzelne Mitgliedsstaaten vollkommen rechtsfrei agieren können. Die Ägäis und Griechenland ist dafür ein Lehrbeispiel.

Die Europäische Kommission ermöglicht mit massiven Zahlungen den Bau von Gefängniscamps in Griechenland. So eines existiert bereits auf Samos. Die anfängliche Aufregung war da, doch mittlerweile erscheint auch dieses Thema nicht mehr wichtig.

Auf Lesbos baut man gerade am neuen Camp. Der Gedanke “Nie mehr wieder Moria” spielt dabei überhaupt keine Rolle. Das Camp wird in einem Waldstück gebaut, welches Hochrisikogebiet für Waldbrände ist, sehr schwer zu erreichen, weg von jeglicher Infrastruktur. Grausamkeit in ihrer Perfektion. Man munkelt es könnte noch Ende des Jahres bezogen werden, das bedeutet, dass jeglicher Kontakt von Geflüchteten zur Zivilgesellschaft unterbunden wird.

Spricht man darüber mit Mitarbeiter*innen des “Task Force Migration Management”, deren Direktorin Dr. Beate Gminder ist, dann ist das Äußerste was man sich dort wünscht “nicht ganz so extreme Zäune wie auf Samos”. Jeden Vorfall, egal ob, Essensverteilung reduziert auf nur mehr 1x täglich, immer noch kein funktionierendes Stromsystem, lange Wartezeiten nach positivem Asylbescheid auf Dokumente, unzureichende med. und psychologische Versorgung, es gibt immer eine Beschwichtigungsausrede. Uns ist sehr wohl bewusst, dass die Mitarbeiter*innen vor Ort keine politische Funktion haben und ihre Hände quasi “gebunden” sind. Doch es ist in keinster Weise nachvollziehbar, dass Dr. Gminder sich nicht massiv für eine menschenwürdige Unterbringung, menschenwürdige und rechtskonforme Verfahren einsetzt. Sie ist die Leiterin jener Stelle, die ua. auch die Verantwortung trägt, dass Europas Gelder gut und sinnvoll investiert werden. Müssen wir davon ausgehen, dass die jetzige Situation für das Büro “gut und sinnvoll” bedeutet?

Brand/Gerichtsverfahren: Im Sommer 21 wurden 4 Geflüchtete aus Afghanistan auf der Insel Chios verurteilt. Sie sollen den Brand in Moria gelegt haben. Der Hauptbelastungszeuge wurde nach seiner Aussage, unmittelbar nach dem Brand, von Deutschland aufgenommen und ist nicht mehr erreichbar. Was mir persönlich auch sehr unwahrscheinlich erscheint. Aufenthaltsstatus in Deutschland, da müsste ein Kontakt herzustellen sein. Es scheint, als war es dem Gericht und auch anderen Behörden nicht wichtig. Auf diese Aussage vor der Polizei in Mytelini/Lesbos gestützt, ohne den Zeugen vor Gericht nochmals befragt zu haben, wird der Schuldspruch seitens des Gerichts ausgesprochen. 10 Jahre Haft! Der Richter begann die Verhandlung mit den Worten: “Hier sitzen also die Brandstifter von Moria.” Dass die Beschuldigten zum Zeitpunkt des Geschehens noch minderjährig waren und die Verhandlung nach Jugendstrafrecht geführt hätte werden müssen, interessiert bis auf die Anwälte*innen niemanden. Jene legten Berufung ein. Verfahren in Griechenland dauern oft Jahre, bewusst, oder aus Mangel an Richter*innen, Beamt*innen, das sei dahingestellt.

Pressefreiheit:

Die Pressefreiheit in Griechenland wird massiv eingeschränkt. Berufsverbot, Betretungs- und Fotoverbot von/in Lagern/Camps, keine offizielle Möglichkeit mit Betroffenen zu sprechen. Die Regierung geht gegen alle, die wahrheitsgemäß über diesen Wahnsinn berichten, vor. Mehrer Journalist*innen haben ominöse Verfahren anhängig. Auch das scheint in Europa nicht wirklich Aufsehen zu erregen. Es scheint so, als könnten politische Äußerungen doch so weit führen, dass Griechenland die europäischen Außengrenzen nicht mehr bewacht, die Abschreckungspolitik nicht so perfekt inszeniert, in dem sie Geflüchtete, die allgemein in Europa nur mehr Migrant*innen genannt werden, menschenunwürdigst unterbringt. Die Menschen müssen merken, dass sie hier nicht willkommen sind, solche und ähnliche Sprüche klopft Premierminister Mitsotakis. Er kann machen und tun was er will, niemand in Europa ist willens und engagiert genug ihn zu stoppen. “Nie mehr wieder Moria.” Ein Satz der wie eine Seifenblase zerplatzt ist. Egal ob die Verbrechen der nachgewiesenen Pushbacks, bei denen die größte europäische Agentur eine dramatische Rolle spielt, oder aber Menschenrechtsverletzungen in Bezug auf Unterbringung, psychische und physische Behandlung, nichts der Verbrechen ist Grund genug, gegen Griechenland ein überfälliges Vertragsverletzungsverfahren zu eröffnen. Freundliche Hinweise seitens der dt. Außenministerin, der Kommissarin für Inneres und einigen anderen, wenigen Politiker*innen, man erwarte Aufklärung und Einstellung von Pushbacks, ist das höchste an Handlungen, die man bis heute erwarten konnte.

Zurück nach Lesbos. Das Camp auf der Insel ist im Moment die Unterbringung für ca. 1600 Menschen. Die Neuankömmlinge kommen vorwiegend aus Syrien, Somalia, Afghanistan, in letzter Zeit auch vermehrt aus Palästina. Die Insel nach dieser gefährlichen Überfahrt zu betreten ist noch keinerlei Garantie, sich auch im Camp registrieren lassen zu können und einen Asylantrag zu stellen. Pushbacks vom Land aus sind keine Seltenheit. Hat man das Glück in ein Asylverfahren zu kommen und einen positiven Bescheid zu erhalten, dann wartet man im Schnitt weitere 8 Monate bis man die Dokumente bekommt. In dieser Zeit ist man aus der Grundversorgung ausgeschlossen, es werden also auch die 75€ p.P. nich mehr ausbezahlt. Kann man dann endlich das Camp nach Monaten, Jahren des Wartens verlassen, landet man auf dem Festland, Athen, Thessaloniki, wo das Drama seinen neuerlichen, eigenen Lauf nimmt. Die griechische Regierung ist nicht mal mehr willens, besonders vulnerable Familien, allein reisende Frauen ohne und mit Kindern zu unterstützen. Regelmäßige Anfragen an uns vom Büro für besonders Vulnerable sprechen eine eigene Sprache.

Obdachlosigkeit, kaum, bis keine Integrationsprogramme, keine Grundversorgung. Die Asylberechtigten haben 2 Möglichkeiten. Entweder sie triften ab in die Kriminalität, was scheinbar politisch begrüßt wird, kann man so wieder gegen die Geflüchteten Stimmung machen, oder aber sie bitten Verwandte, oder Freund*innen in Europa um Geld und reisen offiziell in ein anderes europäisches Land, in dem sie dann in ihrer Verzweiflung einen neuerlichen Asylantrag stellen. Wieder Jahre des Wartens, vergeudete Jahre. Politisch abgelehnt, erweisen sich die Gerichte in manchen europäischen Ländern bereits einsichtiger. Sie erkennen, dass es für Geflüchtete in Griechenland kaum bis keine Chance gibt, in ein sicheres Leben zu kommen. Es gibt sowohl in Deutschland, als auch in Österreich Aufenthaltstitel, die gerichtlich anhand der dramatischen Lage in Griechenland ausgesprochen wurden.

Nie mehr wieder Moria – die Politik hat den Bereich Asyl- und Migration vollkommen gegen die Wand gefahren. Dies ist eine Verantwortungslosigkeit welche uns teuer zu stehen kommen wird. Unabhängig davon, dass wir dringend Zuzug brauchen (Überalterung, Fachkräftemangel, usw.), sehe ich es mehr als schwierig, Menschen welche nach ihrer Ankunft jahrelang so gepeinigt und gedemütigt wurden, friedlich mit uns zu verweben.

Sinnvoll wäre eine einheitliche europäische Asyl- und Migrationspolitik. Die einzelnen Mitgliedsstaaten müssen sich endlich besinnen. Asyl und Migration ist eine gemeinsame Herausforderung und anhand der realen Situation in unserer Welt nicht mehr wegzudenken. Eine Festung zu bauen, Kopf in den Sand Politik, wird nicht funktionieren und die Herausforderungen massiv verstärken. Optimal wäre, die registrierten Schutzsuchenden an den europäischen Außengrenzen, rasch in die Mitgliedsstaaten zu verteilen. Dort finden dann die eigentlichen Asylverfahren statt. Wenn wir weiterhin die Geflüchteten in dermaßen unwürdigen Situationen verwahren, sie ihrer Rechte berauben, demütigen und und teilweise auch aufs Schlimmste misshandeln, dann wird dies gravierende Auswirkungen auf uns alle in Europa haben. Wir verlieren ein Mindestmaß an Werten, Grenzen zwischen richtig und falsch verschwimmen, Verrohung durch Gewöhnung, oder aber durch Hetze schreitet voran. Was hinterlassen wir auf diesem Weg unseren Kindern, der nächsten Generation. Nie mehr wieder Moria? Oder Moria um jeden Preis?

Am 14. September 22 sind wir bereits 2 Jahre auf Lesbos und in Griechenland tätig. Wir dachten anfänglich nicht, dass wir so lange bleiben werden. Doch die Realität ist jene, dass unsere Arbeit immer noch dringend notwendig ist. Lebensmittelverteilungen, Rechtsberatung, Sprachkurse, alles Dinge, die immer noch gebraucht werden. Unsere österreichischen Freiwilligen sind immer zutiefst betroffen, wenn sie dann vor Ort sind. “Wahnsinn, warum berichten die Medien nicht mehr über diesen Wahnsinn?” ist eine der Fragen, die uns immer wieder gestellt werden.

Wir bemühen uns darum, mit Blogbeiträgen, Vorträgen, Newslettern, Vernetzung mit Journalist*innen, Politiker*innen, Kolleg*innen. Wir alle, die wir immer noch auf Lesbos arbeiten sind unheimlich dankbar, wenn Ihr uns helft, das Thema wieder lebendig zu machen und uns bei unserer Arbeit zur Seite steht.

Ihr wollt unsere Arbeit unterstützen: Flüchtlingshilfe/refugee assistance – Doro Blancke AT93 3842 0000 0002 7516

Wir danken herzlichst, wir sind ein spendenfinanzierter Verein und unsere Arbeit gelingt nur Dank Ihrer/Eurer Unterstützung.

Herzlichen Dank, Doro

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