Vielleicht ist es gut, dass ich das Ausmaß des Elends, den Rechtsbruch an Menschen, dieses grausame politische Treiben nicht bis ins Detail kannte.
Wenn Menschlichkeit zur „Ausschussware“ mutiert, wenn ganz Europa meint es müsse sich wochenlang darüber unterhalten, streiten, ob wir jetzt helfen, oder nicht? Wenn wir geifernd auf die nächsten Katastrophenbilder starren und es oft nicht mehr auslöst als „Wie dankbar wir sind, dass es uns so gut geht“.
Wenn in angeblich christlich-sozialen Ländern, wie unseres speziell von der Volkspartei immer gepriesen wird, die Predigten über Herzenswärme, Nächstenliebe, über die Botschaft „ Jesu“ zu starren und inhaltslosen Vorträgen mutieren, weil wir eine Bundesregierung haben, die sich wider besseren Wissens der Einzelnen bedingungslos einem Bundeskanzler beugt, der unserer Menschlichkeit den letzten Funken von Lebenselixier entreißt und die Verrohung unserer Gesellschaft vorantreibt, als wäre dies eine olympische Disziplin.
Wenn ich in meinem Leben einen Wunsch äußern dürfte, dann jenen, dass dieser Mann, ich nenne ihn beim Namen, Herr Sebastian Kurz für all diese Verbrechen an der Menschlichkeit, für seine Verantwortungslosigkeit „Fluchtrouten“ zu schließen und sich in dieser Aussage „es wird nicht ohne hässliche Bilder gehen“ suhlt, statt legale Fluchtwege zu öffnen, sich eines Tages vor Gericht verantworten muss.
Ich habe die hässlichen Bilder gesehen. Mitten unter uns, in Europa! Hier auf Lesbos.
Ich habe gesehen, wie Menschen unter widrigsten Umständen mitsamt ihren Kindern ausgehungert werden, ihnen mehrere Tage kein Wasser gereicht wird, damit sie sich in ein Camp begeben, von dem alte, erfahrene griechische Fischer sagen: „ was wird hier passieren, wenn der Regen und die eisigen Nordwinde kommen?“ Ein Camp, das umgeben von 2 Meeresbuchten nichts, außer dicht nebeneinander gebauten Zelten bietet, deren Heringe (Befestigungen) beim ersten kräftigen Wind aus der Verankerung gerissen werden können.
Es gibt seit dem Einzug bis heute keine Dusche! Die Kinder und es sind wesentlich mehr als die, für nationalistisch motivierte Kampagnen benützten „Singlemen“, mit viel zu wenig Nahrung, Kleidern, Pampers, im Schmutz spielen müssen und seelisch verkümmern, weil ihre Eltern den ganzen Tag in „lines“ stehen müssen, um ein Essen zu bekommen, das bei uns jede noch so dilletante Lebensmittel- und Hygienebehörde in Sekundenschnelle verbieten würde.
Viele Mütter, Väter, Töchter und Söhne irren den ganzen Tag im Camp herum, um vielleicht „im Lotto“ zu gewinnen und ein Stück Eßbares zu ergattern. Vielleicht auch ein offenes Ohr bei NGOs für die Grundbedürfnisse. Tampons, Binden, Lauskämme, Seife, Duschmittel, vielleicht aber auch ein nährendes Lächeln, um zu spüren es gibt den Blick auf ihr Elend. Es gibt sie noch die Anteilnahme an ihrer grausamen Situation, es gibt sie noch die Hoffnung, die Liebe.
Währenddessen unser Bundeskanzler ohne jede Regung, ohne jede Empathie über einen Pulleffekt plappert, den kein einziger, keine einzige Wissenschaftlerin bis heute bestätigen konnte. Ja, es wird einen Pulleffekt geben, jenen der uns durch diese Handlungen näher zur Hölle führt.
Wir werden, wenn unsere Kinder alt sind schaudernd von diesen Verbrechen an Menschen berichten und wieder, immer wieder das Mantra von #NieMehrWieder flöten.
Was uns aufrecht erhält. Das Lächeln für eine Windel „thank you my sister“, die Einladung von Menschen in ihr Zelt, um mit Dir ihren letzten Tee zu teilen (wg Corona leider nicht möglich), Menschen wie Katharina und Nikos, Helga, Martina, Ronny, Birgit, Menschen wie ihr, die ihr das liest und aus Euren liebenden Herzen auch mal Tränen der Empathie fließen.
Es ist leicht zu kritisieren, wie ich bei Kommentaren auf meinem FB lese, warum so viel Müll, wenn man auf der warmen Couch sitzt, in einem Land, in dem alles für uns bereit steht. In einem Leben, in dem ich nicht alles was mir lieb und teuer war verloren habe.
In meinem Herzen gehe ich davon aus, dass würde man in Österreich eine Volksabstimmung machen, ob man die Menschen hier auf Lesbos retten sollte, ein klares Ja am Ende des Tages stehen würde. Denn auch wenn Herr Kurz und seine Anhänger*innen ihren persönlichen Nationalismus und die angebliche Verrohung uns allen auf diktieren, habe ich immer noch großes Vertrauen in die Liebesfähigkeit und in das Bewusstsein von Recht und Unrecht unserer Gemeinschaft.
Und ich hoffe so sehr, dass der Tag kommen wird, dass der Funken, die viele Österreich*innen bereits sind sich zu einem Feuer entwickelt. Ein Feuer, das so hell leuchtet, das die sofortige Evakuierung der Menschen aus dieser Hölle fordert und auch erreicht und das sowohl die Menschen hier aus diesem unfassbaren Elend befreit, als auch uns und unseren Kinder die Würde zurück gibt.
Morgen fliege ich nach Hause. Der Abschied fällt mir schwer, denn auch wenn wir gemeinsam und jede/jeder für sich immer nur einen Tropfen auf dem heißen Stein sein können, sind diese Tropfen im WIR enorm viel. Hunger wurde gestillt, Schuhe vergeben, Wunden verbunden, Babypäckchen vergeben, Spielzeug an die Kinder, Kleidung verteilt, usw.
Morgen fliege ich nach Hause. Mit einer großen Betroffenheit und Trauer, aber auch mit der liebenden und tröstlichen Erinnerung an jede einzelne Begegnung. An die Dankbarkeit, die Freundlichkeit der Menschen, an ihre Herzenswärme bei Gesprächen und an ihre Sanftheit, trotz dieser Situation.
Meine geliebten Kinder, wie auch Mulham, meine lieben Freundin*innen Birgit und Christoph haben mir durch ihr Gehör, durch die schönen und verständnisvollen Gespräche dieses Loslassen, dieses Zurückkommen in meine/unsere „Welt“ unheimlich erleichtert. Danke!
Und Ihr, die Unterstützer*innen, ihr habt so unheimlich viel ermöglicht. Ihr habt es ermöglicht, dass wir hier unsere Arbeit machen, dringend Notwendiges besorgen konnten, dass wir Katarina und Nikos, @HomeForAll für ihr beeindruckendes Tun für Menschen finanzielle Hilfe zukommen lassen konnten. Ihr habt es ermöglicht, dass wir ein anderes Bild von Österreicher*innen zeigen können und vor allem habt ihr unzähligen Menschen Hoffnung geschenkt, das Bewusstsein, dass uns ihre Situation hier in Kara Tepe, Moria2 kümmert, dass wir sie, die Menschen mit ihren Sorgen, ihren Schmerzen sehen.
Am 30. Oktober komme ich gemeinsam mit Helga Longin hier her zurück. Wir werden wieder das tun, was wir getan haben. Versuchen Not zu lindern. Dank Eurer Unterstützung. Der Winter kommt, die Menschen brauchen warme Kleidung, Wasserkocher für Babynahrung, Schuhe, Wärmendes, uvm.
Und wir werden als Zeitzeug*innen vor Ort sein. Wir werden dokumentieren, welche Verbrechen an Menschen und der Menschlichkeit hier begangen werden.
Egal was wir hier tun, oder nicht tun.
Eines ist unwiderruflich!
Unser aller Forderung dieses Camp zu evakuieren und die Menschen in Europäischen Mitgliedsstaaten aufzunehmen. Wir alle, auch jene die sich weigern, fürchten, zweifeln wissen in unserem Innersten genau, dass die die einzig akzeptable Lösung im Sinne von Menschlichkeit und Würde ist.
Wenn Ihr unseren nächsten Einsatz hier wieder unterstützen wollt, dann gerne an
Doro Blancke
AT93 3842 0000 0002 7516
Betreff: Lesbos
Herzlichen Dank und ein Hoch auf die Menschlichkeit.
Doro
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